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Schattenwanderer

Schattenwanderer

Titel: Schattenwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexey Pehov
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Mädchenstimme.
    Er drehte sich um.
    Die Kapuze war ihr vom Kopf gerutscht, die nassen Haare klebten in strähnigen Locken an der Stirn. Um ihren Hals hing eine Silberkette mit einem tropfenförmigen Anhänger.
    Die Zauberin blickte Hargan herausfordernd an. Sie wusste, dass er nicht an ihre Fähigkeiten glaubte.
    »Ja … äh … Lady Siena. Könnt Ihr etwas mit dieser Brücke machen?«
    Sie folgte seinem Blick. »Ich soll sie zerstören?«
    »Wenn Ihr das vermögt.«
    Sie lief rot an und warf ihm einen zornigen Blick zu. »Die Männer sollen abziehen.«
    Hargan nickte Vettel zu, und dieser gab mit einer Miene voller Zweifel den Befehl an die Soldaten weiter.
    Die junge Zauberin kaute konzentriert auf der rauen Unterlippe und bohrte den Blick in die riesige Brücke.
    Lange Zeit tat sich nichts. Ungeduldig trat Vettel von einem Bein aufs andere, Hargan sinnierte schon darüber, dass sie die Brücke doch würden abfackeln müssen, als Sienas Zauber endlich wirkte.
    Donner und Blitze blieben aus. Die Brücke stöhnte lediglich kläglich auf, knirschte und krachte dann in die Schlucht. In der Luft hing eine Wolke aus feinem Holzstaub und Spänen.
    »Oho!«, stieß Vettel beeindruckt aus. »Bei meiner fetten Tante! Das war nicht schlecht!«
    Siena lächelte fröhlich und sah Hargan an, ganz wie ein glückliches Mädchen vom Lande, dem sein Vater etwas vom Markt mitgebracht hatte.
    »Ich danke Euch, Lady Siena, das war gute Arbeit.«
    Sie lächelte noch einmal. »Kann ich jetzt gehen?«
    »Selbstverständlich«, sagte Hargan.
    Sie machte einige Schritte, schwankte und sank in die feuchte Erde.
    Hargan und Vettel eilten zu ihr. »Was ist mit Euch?«
    »Macht Euch keine Sorgen.« Ihr Gesicht war bleich, die Sommersprossen nahmen sich wie grelle Flecken darin aus. »Das ist immer so … nach einem Zauber … ein Schwächeanfall. Das geht vorbei.«
    »Vettel!«, sagte Hargan. »Hilf Lady Siena zu ihrem Zelt. Und dass mir …«
    »Hab schon verstanden, Kommandant«, bemerkte Vettel beleidigt. »Ich bin ja kein Kind mehr, oder? Ich werde sie mit allem Respekt begleiten, der mir zu Gebote steht.«
    Hargan bezweifelte nicht, dass Vettel alles täte, was nötig war, und auch Milch besorgen würde, die, wie man sagte, den Magierinnen und Magiern ihre Kraft zurückgab. Der Kampf stand ihnen noch bevor, die Fähigkeiten der jungen Zauberin würden noch gebraucht werden.
    Der alte Soldat ließ seinen Blick über diese Seite der Schlucht schweifen. Die Soldaten hatten sich bereits mit Beilen und Spaten bewaffnet und errichteten die Palisade. Entgegen seinem Befehl arbeiteten aber nicht nur fünfzig Mann, sondern alle.
    Hargan winkte einen jungen Soldaten aus dem Grenzkönigreich zu sich heran. Der Mann hatte seine Tapferkeit an der Isselina unter Beweis gestellt und danach den Befehl über zehn Schwertkämpfer erhalten. »Weißt du, wo du unsere junge Zauberin findest?«
    »Ja, Kommandant.«
    »Nimm deine Leute und lass sie keine Sekunde aus den Augen. Stellt euch notfalls zwischen sie und die Pfeile der Orks! Dem Mädchen darf nichts zustoßen! Du weißt, wie sehr wir sie brauchen!«
    Der Mann schlug sich mit der geballten Faust gegen die Brust, machte kehrt und stapfte in die Richtung davon, in die Vettel und Siena gerade eben verschwunden waren. Unterwegs versammelte er seine Männer um sich.
    Hargan spuckte sich in die Hände und fing an, Erde zu schaufeln.
    Nach wie vor regnete es aus einem weinenden Himmel …
    Die schrecklichste Folter ist das Warten. Sie hat schon vielen Menschen schlimm zugesetzt, manche sogar das Leben gekostet. Was kann furchtbarer sein, als hinter einer niedrigen Baumwand zu stehen, in die herbstliche, regnerische Finsternis hinauszuspähen und dabei einen ganzen Tag lang nur ein Bild zu sehen: einen Weg, der von einer weißen Nebelwand verschlungen wird.
    Der Tag neigte sich seinem Ende zu, vom Feind war weit und breit nichts zu sehen. Vor etwa einer Stunde waren aus der Nebeldecke kurz Geräusche hervorgedrungen, die frappant an die Kriegstrommeln der Orks erinnerten. Aber dann waren sie wieder verstummt. Die Stille der Erwartung lastete auf ihnen. In dieser Stille war zu hören, wie die Tropfen von den Grashalmen zu Boden fielen und wie der vom Regen übertretende Bach tief unten in der Schlucht rauschte.
    Erstaunlich, wozu dreihundert Mann in der Lage sind, wenn ein gemeinsames Ziel sie eint! Dort, wo kürzlich noch die Brücke endete, erhob sich eine passable Palisade, die aus Dutzenden von

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