Schattenwanderer
hinter der Palisade kauerte. Aber Hargan drehte sich nicht einmal um.
»Die ruhmreiche Armee der Ersten, die es verdient hat, in ganz Siala zu herrschen, bietet euch an, die Waffen zu strecken und euch dem Ersten Stoßtrupp der Menschen anzuschließen. Widerstand ist zwecklos, wir sind weit mehr als ihr, außerdem sind die Orks in ein paar Stunden hier, dann zerquetschen wir euch! Warum wollt ihr euer Leben wegwerfen?! Der Krieg ist verloren, das versteht sogar ein Doralisser! Schließt euch uns an, dann bleibt ihr am Leben und könnt möglicherweise noch ordentlich daran verdienen! Die Orks sind gerecht. Sie müssen nicht alle ermorden.«
»Darfst du derartige Angebote überhaupt unterbreiten?«, fragte Hargan, der spürte, wie der Zorn seiner Soldaten hinter ihm hochkochte.
»Ja! Ich bin die rechte Hand des ruhmreichen Kommandanten Olmee!«
Hargan kannte einen Olmee aus der ehemaligen Sechsten Südarmee. Genauer gesagt, er hatte von ihm gehört. Im Wesentlichen nur Gutes. Umso erstaunlicher und umso erschreckender war es, dass er zum Feind übergelaufen war.
»Hast du keine Angst, du Hundesohn, dir dein Auge mit einem Pfeil zu verzieren?«, schrie Vettel.
Durch die Reihen ging ein zustimmendes Brummen.
»Ich bin mit der weißen Fahne gekommen, um zu verhandeln!«, höhnte der Bärtige. »Da werdet Ihr doch nicht schießen!«
»Unsere Antwort ist nein! Wir unterwerfen uns nicht!«, sagte Hargan.
»Dann seid ihr Idioten!«, brüllte der Bärtige wütend. »Wie viele seid ihr da hinter den paar Bäumen? Zweihundert, wenn’s hochkommt! Wir sind aber fast tausend! Wir werden in euerm Blut baden!«
»Dann komm doch her! Dafür müsst ihr ja nur die Schlucht einmal runter und wieder rauf!«, giftete Vettel. »Unsere Pfeile reichen für euch alle!«
»Soldaten! Hört nicht auf diesen Dummkopf!«, schrie der Parlamentär. »Ihr bekommt das Leben geschenkt! Das ist kein Verrat, das ist ein kluger Schritt! Ihr werdet nicht standhalten! Das ist mein letztes Wort! Tötet eure Anführer und kommt zu uns!«
Hargan zweifelte keine Sekunde an der Treue seiner Soldaten, fürchtete keinen Schlag von hinten. Allerdings war das Gespräch mit dieser Drohung beendet.
»Jetzt hör mir mal zu, Parlamentär! Das ist nämlich mein letztes Wort! Du hast deine Leute verraten, du Memme! Ich hoffe, du kannst schnell rennen! Sonst holt dich nämlich ein Pfeil ein!«
Vettel und Hargan sprangen von der Palisade hinunter, und schon schoss ein Dutzend Bogenschützen, das nur darauf gewartet hatte, seine Pfeile ab.
Alle zielten ausschließlich auf den Bärtigen, der, von zehn Pfeilen in die Brust getroffen, zu Boden ging, ohne zuvor auch nur einen Schritt zur Seite gemacht zu haben.
»Wollt ihr die beiden anderen etwa laufen lassen, ihr Schnallen?« In dem kleinen, drahtigen Mann erkannte Hargan Bleedhurt, der den Befehl über die Bogenschützen hatte. »Jetzt zeig ich euch mal, wie man mit Verrätern umgeht!«
In Bleedhurts Händen wirkte der Streitbogen geradezu gigantisch, aber der kleine Mann spannte gekonnt die Sehne und schoss ebenso geschickt seinen Pfeil ab. Dieser pfiff durch die Luft und traf den Fahnenträger, der unterdessen ein ordentliches Stück vom Rand der Schlucht weggelaufen war, direkt zwischen die Schulterblätter. Der Mann riss die Arme hoch und fiel, ohne seine Flucht zu beenden.
»Und den Letzten! Zugleich!«, kommandierte Bleedhurt.
Als den Hornisten der Pfeil eines Bogenschützen traf, stürzte er in die Schlucht und wurde vom Nebel verschluckt. Es ließ sich nicht mehr klären, ob der Pfeil ihn nur verwundet oder gleich ins Dunkel geschickt hatte.
»Soldaten!«, schrie Hargan. »Wir werden nicht gegen Orks, sondern gegen unseresgleichen kämpfen müssen! Gegen Menschen! Gegen Verräter, die nicht mehr wissen, wie Muttermilch schmeckt! Die auf die Seite des Feindes übergewechselt sind! Mögen eure Hände ruhig sein! Bringt die Abtrünnigen um! Zeigt kein Erbarmen!«
Und durch die Reihen der Todesmutigen, die den Feind um keinen Preis durchlassen wollten, hallte es: »Kein Erbarmen!«
Durch die schwarze Wand der Feinde lief ein Beben, bevor sie zum Sturm ansetzten. Die Verräter griffen in Linien zu je hundert und hundertfünfzig Mann an. Sie waren zwar noch weit entfernt, doch schon bald würden ihre Gesichter zu erkennen sein.
Auf beiden Seiten erklangen Hörner. Die Angreifer feuerten sich mit Schreien an, ließen ihre Waffen im Laufen klirren. Es waren tausend. Tausend, für die es kein Zurück
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