Schattenwanderer
fangen. Die Angreifer wichen vor der Schlucht zurück, die sich in ein Feuerbecken verwandelt hatte, schützten die Gesichter mit den Händen gegen die unerträgliche Hitze, und nur die Zauberin stand aufrecht da und blickte in die heißen Flammen.
Hargan war sicher, dass alle, die in der Schlucht gewesen waren, verbrannt sein mussten.
Mit einem einzigen Streich hatte Siena gut vierhundert Mann erledigt!
Der Nebel brannte kaum zwei Sekunden. Das Feuer legte sich genauso plötzlich, wie es entstanden war, fraß den Nebel und entblößte die angekohlten, rauchenden Hänge der Schlucht.
Siena sackte langsam zu Boden, doch die Schildträger eilten herbei und ließen sie nicht fallen.
»Lebt sie?!«, fragte der herbeistürmende Grenzreicher und Befehlshaber ihrer Leibgarde.
»Ja …« Siena lächelte unsicher und spuckte Blut aus.
Die Hand der Zauberin ließ das Medaillon nicht los. Über den silbernen Tropfen huschten Funken.
»Rasch! Einen Arzt!«, brüllte Hargan. »Fuchs? Bist du in Ordnung?«
»Und wie!« Der Soldat mit den beiden Totschlägern warf den schweren Bretterschutz zur Seite, der ihn vor der Hitze des Zaubers geschützt hatte. »Das Mädchen hat ihnen ja ordentlich eingeheizt!«
»Schlaft nicht, ihr Schnallen!« Bleedhurt stand mit seinem Bogen schon wieder an der Palisade. »Auf alle, die fliehen! Zwei Finger nach oben! Schuss!«
Die Angreifer der siebenten und der achten Welle flohen entsetzt, nachdem sie mit angesehen hatten, was ihren Gefährten in der Schlucht widerfahren war. Die Männer Bleedhurts schafften es trotzdem, noch einige von ihnen zu erwischen.
In den Reihen der Verteidiger breitete sich Stille aus.
Die andere Seite der Schlucht und auch der Weg waren mit Toten übersät, die Wände der Schlucht völlig verkohlt. Ein ekelhafter Brandgeruch und der Gestank verbrannten Fleisches hingen in der Luft. Aus der Schlucht – aus diesem Höllenofen – stieg dicker Rauch auf. Der Bach schwieg, aber das war verständlich: Der Feuerzauber hatte ihn verdampfen lassen.
Dann zerriss ein fröhliches Geschrei die Stille. »Sieg!«
»Hurra!«
»Denen haben wir es gegeben!« Der hochzufriedene Vettel eilte auf Hargan zu. »Nur schade, dass unsere Schwerter noch kein Blut zu kosten bekamen!«
»Das werden sie schon noch! Wir haben ja nicht alle getötet!«
»Stimmt. Drei-, vielleicht vierhundert Mann haben überlebt. Aber die werden kaum noch mal anrücken, die warten auf die Orks.«
»Nichts ist unmöglich«, widersprach Hargan. »Alle Heiler – oder wer auch immer was davon versteht – sollen sich um die Verletzten und um die Zauberin kümmern!«
»Zu Befehl!«
Über der Palisade erschallten die frohen Schreie der Menschen, die ihren kleinen Sieg feierten – und ebenso das Leben, das ihnen von den Göttern noch für ein paar weitere Stunden geschenkt worden war.
Vettel sollte nicht recht behalten. Zweimal stürmte der Feind im Laufe des Tages noch heran, zweimal musste er in hilfloser Wut und unter großen Verlusten wieder abziehen. Am Ende des Tages hatten die Hundeschwalben neunundzwanzig Tote und achtzehn Verletzte, von denen drei den Kampf nicht fortsetzen konnten, zu beklagen. Verglichen mit den Verlusten des Feindes war das verschwindend gering. Für Hargan zählte indes jeder einzelne Soldat, und jeder Verlust schmälerte ihre Kraft für die letzte Schlacht.
Die Zauberin lag nach der Anwendung ihrer Magie noch immer geschwächt im Zelt. Hargan schickte allen zwölf Göttern seine Gebete, Siena möge ihre Fähigkeiten zurückerlangen, ehe die Orks kamen. Allein hatten die Menschen einigen Zehntausend der Ersten nichts entgegenzusetzen.
Die Nacht fraß die Farben der Welt, und nur die brennenden Feuerpfeile vertrieben die Schwärze. Der nächtliche Angriff, den Fuchs befürchtet hatte, blieb jedoch aus. Nur einmal näherte sich einer der Feinde im Schutz der Dunkelheit der Schlucht und schrie, alle hinter der Palisade seien tote Männer. Doch Bleedhurt, der einfach in Richtung der Stimme einen Pfeil abfeuerte, stopfte diesem Leichtfuß für alle Zeiten das Maul.
Der Morgen brach an und ging fließend in den Tag über. Der Feind war abgezogen, hinein in den Wald, und nur das Schreien der Krähen, die sich über die Leichen hermachten, drang von der anderen Seite der Palisade heran. Gegen Mittag war der Himmel noch stärker mit Wolken bezogen, der Regen nahm zu. Der Weg ertrank förmlich.
»Was für ein Hundeleben!«, knurrte Vettel, er zitterte und klapperte mit den
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