Schattenwanderer
Tempelanlage hineinführte, als mich die Stimme des Bettlers aufhielt: »Für eine Münze kriegst du einen kostenlosen Rat von mir, Garrett.«
»Ein seltsamer Gedanke«, befand ich amüsiert, als ich mich dem Mann, der auf dem Sockel saß, erneut zuwandte. »Wenn der Rat kostenlos ist, warum soll ich dir dann eine Münze geben?«
»Ich muss schließlich essen und schlafen, oder etwa nicht, Garrett?«
Damit hatte er mich. Ich kramte in meinen Taschen, fingerte die kleinste Kupfermünze heraus und warf sie in die Schale. Die Münze klimperte einsam. Der Bettler hielt sich das Tongefäß unter die Nase, um erkennen zu können, was ich ihm gegeben hatte, und seufzte schwer: »Ist das eine Besonderheit deines Charakters oder sind alle Diebe so geizig?«
»Was soll diese Frechheit! Sag lieber danke, dass ich meine Zeit mit dir vergeude und dir überhaupt etwas gebe!«, empörte ich mich.
»Danke. Du willst also einen Rat?«
»Wenn du so freundlich wärst.«
»Dann bezahl mich in Gold, für Kupfer bekommst du nichts von mir.«
Am liebsten hätte ich ihn gepackt und ordentlich durchgeschüttelt. Von einer Goldmünze konnte dieser Nichtsnutz zwei Monate lang leben. Inzwischen hatte ich mich allerdings bereits in den Stricken dieses Gauners verfangen, und selbst eine Goldmünze war mir nicht zu schade, seine abenteuerliche Geschichte zu hören.
»Also gut.« Ich drehte die goldene Münze zwischen den Fingern. »Aber erst würde ich gern dein Gesicht sehen.«
»Nichts einfacher als das«, erwiderte der Arme und streifte seine Kapuze zurück.
Das durchschnittliche Gesicht eines Vierzigjährigen. Graue Bartstoppeln, braune Augen, eine spitze Nase. Bettler wie er laufen zu Dutzenden herum. Ich kannte ihn nicht.
»Hier ist deine Münze.« Ich warf ihm das Goldstück in die Schale, der Bettler lächelte triumphierend. »Aber merk dir eins: Wenn dein Rat nichts taugt, verlang ich mein Geld zurück. Klar?«
»Mein Rat ist folgender«, sagte der Bettler, der sich die Kapuze wieder überzog. »Setz keinen Fuß auf Selena, Garrett, dann wirst du ein hohes Alter erreichen.«
»Selena? Was für eine Selena? Und warum sollte ich keinen Fuß auf sie setzen?«, fragte ich verständnislos. »Was bedeutet dieses Rätsel?«
Dem Bettler schien es jedoch plötzlich die Sprache verschlagen zu haben.
»Pass auf, das war kein Scherz. Entweder du gibst mir das Geld zurück oder du sagst mir, woher du mich kennst und was das für ein dummes Rätsel ist!«
»Äh-äh-äh-ch-ch-ch-a. B-b-b-b-m-a-a-a-a«, stammelte der Bettler und fuchtelte mit den Armen, einen taubstummen Idioten mimend.
Aber meinem Blick entging nicht, dass die Münze wie durch Zauberei aus der Schale verschwunden war.
»Schluss jetzt mit den Albernheiten! Gib mir mein Geld zurück!«, polterte ich und trat näher an den Ganoven heran.
»Warum spottest du über einen Gläubigen?«, erklang hinter mir eine Stimme.
Ich drehte mich herum und sah mich fünf Männern in orangenen und weißen Farben gegenüber. Die Tempelwache.
»Was soll das für ein Gläubiger sein, hol mich doch das Dunkel! Das ist ein Gauner, wie er im Buche steht!«
»Geh besser deines Weges! Dies ist ein Ort, an den man sich den Göttern zuwendet, aber keiner, an dem man herumpoltert«, erklärte mir der Sergeant mit einem unschönen Lächeln. »Andernfalls müssten wir dich aus diesem gottgefälligen Ort hinausexpedieren.«
»M-a-a-a-h-y-y«, unterstützte ihn der Bettler und nickte eifrig.
Die steckten alle unter einer Decke! Ein Streit hätte jedoch nichts genützt, damit hätte ich mir nur jede Menge Schwierigkeiten eingehandelt. Außerdem wollte ich ja sowieso jemand anderen besuchen.
»Ist ja schon gut.« Ich zuckte so gleichgültig wie möglich die Achseln, obwohl ich innerlich vor Wut kochte, und machte mich davon.
Die ganze Bande hatte mich so mühelos übervorteilt, als sei ich ein einfältiger Bauer. Nun gut, Sagoth sei mit ihnen! Das Goldstück würde mich nicht an den Bettelstab bringen. Aber woher kannte dieser verfluchte Bettler meinen Namen?
Der Weg schlängelte sich durch Grünflächen, Blumenrabatten und Beete. Ein paar Mal begegnete ich anderen Priestern, die ihren Geschäften nachgingen und mich in keiner Weise beachteten, als würden ständig Besucher durch die Tempelanlage streifen. Der übliche Schlendrian. Der Weg führte nach links, um ein Beet mit blassblauen Blumen herum, die sich mit all ihren Blütenblättern der warmen Sonne entgegenstreckten, auf ein massives
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