Schattenwanderer
Gebäude linker Hand zu. Durch dieses Gebäude geleitete mich ein schummriger Bogengang, dahinter lag das Heim meines einzigen Freundes auf dieser Welt. Ich betrat den kühlen Tunnel. Die durch die Sonne aufgeschreckten Schatten pressten sich gegen die grauen Mauern, die Kühle bescherte mir eine unsagbare Glückseligkeit. Meine Schritte hallten dumpf. Doch als der Ausgang schon zum Greifen nahe war, packten mich zwei Hände, die mir inzwischen durchaus vertraut waren, und rissen mich in die Luft hoch.
Nach den Händen tauchten auch Schultern und Kopf aus der Wand auf, der restliche Körper ließ sich damit noch Zeit.
»Wuchjazz ist klug«, brachte mir die Stimme eine altbekannte Tatsache in Erinnerung.
Sein Odem ließ mich das Gesicht verziehen, ich musste mir alle Mühe geben, das Frühstück, das mir Roderick noch bereitet hatte, bei mir zu behalten. Was hatte Wuchjazz bloß gegessen?
»Sei gegrüßt!« Ich lächelte fröhlich, als stünde nicht ein Dämon der Finsternis, sondern meine werte Frau Mama vor mir.
»Wuchjazz ist klug.« Der Dämon rang sich dazu durch, mich auf dem Boden abzusetzen, sah mich aber misstrauisch an. »Hast du das Pferd?«
»Meinst du das Pferd der Schatten?«, fragte ich, um Zeit zu schinden. Derweil flehte ich Sagoth an, einen der Priester durch den Bogengang zu schicken.
Doch es tauchte keine Menschenseele auf, als seien alle Gottesdiener plötzlich von der Pest dahingerafft.
»Ich bin ihm dicht auf der Spur.«
»Mach schneller!«, zischte der Dämon, seine gelben Augen funkelten im Halbdunkel. »Ich halte nicht mehr lange durch.«
»Ich bin ganz nah dran, ich brauch nur noch ein wenig Zeit.« Eine leichte Angst machte mich geschwätzig.
»Ich beobachte dich, in drei Tagen bringst du mir das Pferd oder ich sauge dir das Mark aus den Knochen!« Daraufhin verschwand Wuchjazz wieder in der Mauer.
Ich ließ mich gegen das raue Gemäuer sacken und atmete tief durch. Puh! Der würde mich noch in den Tod treiben!
Ich hätte nie erwartet, den verdammten Dämon so bald wiederzusehen, noch dazu am Tage. Für ihn musste ich mir etwas einfallen lassen. Inzwischen hatte ich eine gewisse Vorstellung davon, wo ich das Pferd fand, nämlich mit ziemlicher Sicherheit bei demjenigen, der mir die Doralisser auf den Hals gehetzt hatte. Es galt also bloß noch, diesen Unbekannten aufzuspüren und ihm bis übermorgen Nacht den Stein abzuluchsen, da mir sonst das Mark aus den Knochen …
»Geht es dir gut, mein Junge?«, erklang eine höfliche Stimme neben mir – was mich ein paar Yard in die Luft hochschnellen ließ.
Einen Aufschrei unterdrückte ich gerade noch rechtzeitig, da ich bemerkte, dass es nur einer der Priester war – die sich ja immer erst an den Ort des Geschehens begeben, wenn alles längst vorbei ist.
»Bestens«, knurrte ich und eilte unter dem verwunderten Blick des Priesters – der wohnte schließlich nicht jeden Tag dem Flugversuch eines Menschen bei – davon, hinein ins helle Tageslicht.
Was war jetzt eigentlich vorzuziehen, die Hitze oder die Kühle? Vermutlich doch die Hitze, da sprang dich wenigstens niemand aus Mauern heraus an, um damit zu drohen, dir das Mark aus den Knochen zu saugen. Ich stieg eine massive Treppe hoch und ging einen Gang entlang, der zu den Wohnanlagen der Priester Sagoths führte. Zwei Priester, die neben einer marmornen Vase standen, aus der ein verwelkter Wedel herausragte, der sich Palme nannte, unterbrachen ihren Streit über die Wege Sagoths und sahen mich an. Diebe erkennen einander. Und alle Welt weiß, dass es sich bei den Priestern Sagoths ausnahmslos um ehemalige Diebe handelt. Das ist eine jahrhundertealte Tradition, von der niemand abzulassen gedenkt. Ich nickte den beiden zu und formte die Finger zum Zeichen unseres Berufsstandes. Daraufhin nickten sie mir ebenfalls zu und überließen sich erneut ihrem philosophischen Streit. Ich war jetzt kein Fremder mehr für sie und stellte folglich keine Gefahr dar.
Am Ende des Ganges brachte mich eine weitere Treppe in den ersten Stock hinauf, wo die Zimmer der Priester lagen. Die zweite Tür von rechts, deren nachgedunkeltes Holz auffällig tiefe Kratzer zerklüfteten – Spuren der Schwerter nicht allzu freundlich gesonnener Besucher. Ehemalige Diebe können indes für sich einstehen, und unter der friedlichen grauen Kutte war stets ein Messer versteckt. Wer auch immer einen Anschlag auf die Ruhe der hiesigen Bewohner versucht hatte, er war, wie mein Freund mir erzählt hatte, im
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