Schattenwanderer
Garten beerdigt worden, unter einem der Apfelbäume, während die Schwerter der Missetäter im zentralen Betsaal des Tempels zu Ehren Sagoths hingen, damit anderen die Lust verging, diesen friedlichen und gottgefälligen Ort mit blanker Waffe aufzusuchen. Selbst wenn Sagoth der Geringste unter den Göttern war und längst nicht so grausam und mächtig wie seine Brüder und Schwestern, so wusste doch auch er – und mit ihm seine Diener – für sich einzustehen.
Ich klopfte an die Tür und trat ohne die Aufforderung abzuwarten ein. Ein großer, gut beleuchteter Raum. Der Kontrast, in dem die bunt bemalten Wände zu den grauen Gängen der Anlage standen, freute das Auge. Abschätzend (was will man machen: alte Gewohnheit) ließ ich meinen Blick über die geschmackvolle Einrichtung schweifen. Wertvolle Bilder von berühmten Meistern der Vergangenheit, die Szenen aus der göttlichen Mythologie darstellten, auf dem Boden ein gelber Teppich aus dem Sultanat, teure Möbel und ein kleiner goldener Sockel für Sagoth. Mein Freund nahm durchaus nicht den untersten Platz in der Hierarchie der Diener unseres Gottes ein.
»Garrett, mein Junge!« Ein großer dicker Mann in der grauen Kutte der Priester erhob sich hinter dem Tisch und kam mit ausgebreiteten Armen auf mich zu. »Was führt dich zu mir? Hundert Jahre hast du mich alten Mann nicht besucht!«
»Sei gegrüßt, For, ich freue mich, dich frisch, gesund und dick zu sehen!« Lachend umarmte ich den alten Priester.
»Was willst du machen, das ist der Dienst!«, antwortete er mir fröhlich.
»He, he, he! Mir entgeht nichts, alter Ganove! Gib mir sofort meinen Beutel zurück!«, rief ich. »Aber du hast noch immer flinke Finger.«
»Ach was! Wir Alten können euch Jungen nicht mehr das Wasser reichen«, erwiderte For heiter und warf mir den Beutel zu, den er gerade eben von meinem Gürtel gefingert hatte. »Lass uns am Tisch Platz nehmen, Garrett, ich wollte gerade essen.«
»Du isst immer, wenn ich dich besuche. Seit du ein Diener Sagoths geworden bist, bist du aufs Dreifache angeschwollen.«
»Wenn das nun einmal sein Wille ist …« For breitete die feisten Arme aus. »Setz dich nur schon, ich bring dir deinen geliebten Wein.«
Grinsend zwinkerte er mir zu, um dann schnaubend und keuchend ins Nebenzimmer zu verschwinden. Ich setzte mich auf einen massiven und soliden Stuhl und legte meinen Umhang mit der eingerollten Armbrust auf den Tisch.
Der alte For. For der Klebefinger. In der Vergangenheit war er einer der berühmtesten Meisterdiebe Awendums, der einst die raffiniertesten Raubzüge in den reichsten Häusern unternommen hatte, Züge, von denen in der Diebeswelt noch heute gesprochen wurde. For, dem junge Diebe mit offenem Mund zuhörten, jedes Wort – und damit jede Erfahrung – aufsaugend. Er war der Mann, der den ewig hungrigen und schmächtigen Jüngling entdeckt hatte, Garrett den Floh, den er dann unter seine Fittiche genommen hatte, nicht, um ihm das Handwerk des kleinen Taschendiebs beizubringen, sondern um ihn zum Meisterdieb auszubilden.
Zehn Jahre mühte er sich mit mir ab, bis Garrett der Schatten zutage trat, der seinem Lehrer in nichts nachstand. For hatte den Beruf unterdessen an den Nagel gehängt, um Sagoth zu dienen. Der gute Priester, Bruder For, der Verteidiger der Hände. Dieser Titel brachte mich immer noch zum Lachen, denn ich konnte einfach nicht glauben, dass ein derart erfolgreicher und begabter Dieb in den Ruhestand getreten war.
»Da bin ich wieder.« Das rote Gesicht Fors erstrahlte in einem triumphierenden Lächeln. In jeder Hand hielt er je zwei staubüberzogene Flaschen.
»Die Bernsteinträne!«, rief ich entzückt.
»Genau die! Alte Vorräte, der beste Wein der lichten Elfen aus dem Zwergengebirge! Genieße ihn!«
»Das werde ich.«
»Genug zu essen haben wir auch, wie ich glaube.« Abschätzend betrachtete For den Tisch, der sich unter allerlei Speisen bog.
Der Korken flog knallend aus der Flasche. Der dicke bernsteinfarbene Wein strömte in die Kelche.
»Auf unser Wiedersehen! Ich freue mich, dass du deinen alten Lehrer nicht vergessen hast.«
Ich nippte am Wein und genoss das kräftige Aroma. Zehn Goldmünzen für eine Flasche Wein sind eine stattliche Summe. Nicht jeder konnte sich den Elfenwein leisten, den nur noch ein anderer Wein übertraf, der beste Wein in dieser Welt, der Wein der Orks.
»Ich habe nicht darauf gehofft, dich so schnell zu sehen, mein Junge. In der Stadt kursieren die unterschiedlichsten
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