Schattenwandler 03. Elijah
Saum des Kleides legte sich um ihre Schenkel wie ein sanfter Hauch, und sie fuhr genüsslich mit den Fingerspitzen über den Stoff. Siena warf einen Blick in den Spiegel neben der Truhe und bewunderte lächelnd den blauen Samt und wie er schimmerte, wenn das Gewand bei jeder Bewegung geschmeidig mitschwang. Vielleicht sollte sie ihre königlichen Privilegien nutzen und sich diese entzückende Kreation auf Dauer ausborgen.
Siena lief über den kalten Felsboden zum Kamin, wo sie Holzscheite und Reisig aufschichtete und ein gemütliches Feuer anzündete, ohne Angst zu haben, dass der Rauch im Regen oder in der Dunkelheit entdeckt werden könnte. Inzwischen war es Abend geworden. Siena hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie noch nicht nach ihrem Patienten gesehen hatte. Aber es war sinnlos, sich Vorwürfe zu machen. Sie hätte ohnehin nicht viel für ihn tun können.
Sobald das Feuer gleichmäßig brannte, sah sie nach ihm. Im Schein der Flammen ging sie in den angrenzenden Raum, stützte ein Knie auf das Bett, stellte das andere Bein auf dem Boden auf und setzte sich auf das angewinkelte Bein. Langsam begann sie, seine Wunden zu untersuchen. Wie sie vermutet hatte, heilten die meisten davon bereits sehr gut. Manche hatten sich schon vollständig geschlossen und eine rosige neue Haut gebildet. Von diesen nahm sie den Verband ab.
Die Verletzungen, die von Waffen aus Eisen herrührten, sahen noch nicht so gut aus, doch auch das hatte sie erwartet. Das Schlimmste beim Eisen war, dass es, anders als das Silber, das gegen ihr Volk eingesetzt wurde, rostete und dass in der Wunde Partikel zurückblieben, auch wenn die Waffe herausgezogen worden war. Diese winzigen Eisenteilchen vergifteten die Wunde heimtückischerweise weiter, während sie eigentlich heilen wollte. Die einzige Möglichkeit, diese Partikel vollständig zu entfernen, bestand darin, einen fähigen Dämonenheiler hinzuzuziehen, der seine Macht über den Körper einsetzte.
Sie wusste genau, wer dieser Heiler war. Seine Frau war die Botschafterin, die der Dämonenkönig an ihren Hof geschickt hatte, Magdelegna, die Schwester des Dämonenkönigs. Legna war eine kluge und schöne Frau, eine sehr mächtige Geistdämonin, deren Tapferkeit Siena sehr bewunderte. Es erforderte sehr viel Mut von einer Frau, diplomatisch zu bleiben an einem Hof, dessen Angehörige sich gegenüber den einstigen Feinden oft weiterhin feindselig verhielten, und sich so einer Situation zudem noch auszusetzen, während sie mit ihrem ersten Kind schwanger war.
Aber Legnas Ehemann, der große Körperdämon und Heiler Gideon, war der Älteste und Mächtigste aller Dämonen. Er war in der lage, solche teuflischen Wunden zu heilen, indem er das Eisen mit magischer Leichtigkeit herauszog. Auch wenn sein heilerisches Können am Hof der Lykanthropen nutzlos war, weil die Gestaltwandler für die Kräfte der Geistdämonen und der Körperdämonen so gut wie unempfänglich waren, bildete Gideon eine wertvolle Ergänzung zu Legna.
Er war der erste Dämon gewesen, dem Siena begegnet war. Damals, vor vielen, vielen Jahren, war er ein Gefangener ihres Vaters gewesen, den sich der König an seinem Hof hielt, um sich über ihn zu amüsieren und mit ihm anzugeben. Aber damit hatte sich der König einen Bärendienst erwiesen, weil die junge Prinzessin durch Gideons Unterricht über die wahre Natur und über die Göttlichkeit der Dämonen aufgeklärt wurde.
Jetzt war er wieder am Hof und unterstützte seine Frau in aller Stille, aber in weit größerem Umfang. Er beschützte seine Frau außerdem bei ihrer oft gefährlichen Aufgabe, die vorurteilsbeladenen Lykanthropen für sich zu gewinnen. Niemand, der bei Sinnen war, würde es wagen, der Gattin eines so machtvollen Wesens wie Gideon etwas anzutun. Aber bei allen Völkern der Schattenwandler gab es welche, deren Geist verwirrt war. Die Verletzungen des Kriegers zeugten ganz deutlich davon.
Es war sinnlos, den Heiler herbeizuwünschen. Er war zu weit weg, und Siena wollte den Dämonenkrieger nicht allein lassen. Er musste sich erst einmal erholen. Sie würde jedoch auf die Jagd gehen müssen, wenn es, was wahrscheinlich war, in der Höhle keine Vorräte gab. Als ein Wesen, das sich in einen Lemuren verwandeln konnte, war Jinaeri Vegetarierin. Siena hingegen aß fast nur Fleisch und am liebsten möglichst frisch erlegtes Wild. Es war kaum anzunehmen, dass sie so etwas im Haus einer Pflanzenesserin vorfand, zumal es auch noch nicht mit Wintervorräten
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