Schattenwandler 03. Elijah
heraus Leid und Unheil anrichteten, dennoch genau wie alle anderen einem vorgegebenen Weg folgten. Und Noah vermutete, dass möglicherweise ein Sinn dahintersteckte. Nicht jeder vorgegebene Weg war moralisch gut und innerlich klar. Wenn das so gewesen wäre, gäbe es keine Kriege und keine Gewalt.
Nach Auffassung dieser Verräterinnen waren ihre Racheakte gegen die Angehörigen ihres eigenen Volkes gerechtfertigt und auch gerecht. Die Belagerung im vergangenen Mai, kurz vor Beltane, war ein brutaler Vergeltungsakt gewesen, der sich vor allem gegen Jacob, den Vollstrecker, richtete, der sich dann aber wie ein tödliches Gift ausbreitete und die ganze Dämonenschaft erfasste. Seitdem waren die Dämonen diesen Abtrünnigen immer wieder zum Opfer gefallen und waren ohne Grund oder aus ganz geringfügigem Anlass in verheerende Guerillaaktionen geraten. Wenn die vergangenen sechs Monate ihnen eines klargemacht hatten, dann, dass die Feinde überall lauerten, und manche von ihnen waren viel näher, als sie je gedacht hätten.
Deswegen machte der König sich große Sorgen um einen verschwundenen Kameraden, um den er sich normalerweise nie Sorgen gemacht hätte.
Neben dem Kamin auf der anderen Seite der großen Halle ertönte ein Schrei, und Noah unterbrach sofort seine herumirrenden Gedanken und lief zu der eleganten Wiege, aus der das Schreien gekommen war. Er griff hinein und holte mit seinen großen Händen ein winziges Baby heraus und bettete das kleine, warm in eine Decke gehüllte Mädchen in seine Armbeuge.
„So, meine Süße“, sagte er zu ihr, „du möchtest also etwas sagen dazu?“
Das kaum mehr als zwei Wochen alte Baby, das sein Köpfchen noch nicht recht halten konnte, zog sein Gesicht noch mehr zusammen als sonst und brachte den Dämonenkönig unwillkürlich zum Lachen.
„Ich glaube, du wirst genau wie deine Eltern. Willst du eines Tages meine Vollstreckerin sein, Süße? Und aufsässige Dämonen zu mir zurückbringen, damit sie ihre verdiente Strafe bekommen?“
Noah wandte sich um und ließ sich auf seinem Lieblingssessel vor dem Feuer nieder. Der Dämon hob eine Hand und ließ seine Finger spielerisch brennen, wobei die Flammen so schnell von einer Fingerspitze zur anderen sprangen, dass das Baby die Augen aufriss. Es zappelte vor Aufregung mit Armen und Beinen und griff nach seiner Hand. Aber der König achtete darauf, die spielerischen Flammen weit von ihm wegzuhalten. Vor kindlicher Enttäuschung kreischte es auf.
„Pst!“, flüsterte er. „Wenn das deine Mutter wüsste, würde sie mir den königlichen Kopf abreißen.“
Noah grinste und löschte die Flammen mit dem gleichen kurzen Gedanken, mit dem er sie entzündet hatte. Dann streckte der Feuerdämon seine angewärmten Finger aus, um dem Baby über die dichten, seidenweichen schwarzen Locken zu streichen.
„Ich bin ziemlich verärgert, dass deine Eltern Elijah als deinen Siddah ausgewählt haben und nicht mich. Aber ich verstehe, dass sie schon geahnt haben, dass du ein zu großer Brocken bist für einen Mann, der ein ganzes Volk führen muss. Und“, fuhr er fort, streckte seine langen Beine aus und schlug sie übereinander, „ich fand es gar nicht witzig, als deine Mutter gesagt hat, dass ich ja vielleicht selbst eine Familie haben würde. Offenbar macht es ihr Spaß zuzuschauen, wie ein männlicher Dämon nach dem anderen dem listigen Zauber von euch Frauen erliegt.“
Das Baby blinzelte ihn mit den blauen Augen eines Neugeborenen an und packte mit erstaunlicher Kraft einen seiner dicken Finger, um ihn sich in den Mund zu stecken.
„Ich freue mich, dass du meiner Meinung bist“, lachte er. „Ich bedauere schon, dass ich deinen Vater dazu ermuntert habe, sich in die Arme deiner Mutter zu begeben. Ich hätte es zwar nicht verhindern können. Aber seit diese Frau hier in das Schloss gekommen ist, ist nichts mehr so, wie es einmal war. Wenn das so weitergeht, dann kommt Elijah bald durch die Tür da und singt Liebeslieder und hat selber Kinder. Schlimm genug, dass meine Schwester …“
Noah verstummte, und seine gute Laune schwand, als seine Gedanken zu dem verschwundenen Krieger zurückkehrten. Wenn er ehrlich war, hätte es ihn gefreut, wenn Elijah durch die Tür gekommen wäre, unter welchen Umständen auch immer. Es passte nicht zu ihm, dass er einfach so verschwand, ohne irgendjemandem zu sagen, wo er hinging. Vor allem nicht in einer Situation, in der überall Gefahren lauerten.
Elijah hatte in den vergangenen Monaten
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