Schattenwandler 03. Elijah
wenn er ihnen immer noch misstraute. Auch nachdem die Königin den Krieg für beendet erklärt hatte, hatte er jeden Moment damit gerechnet, dass das Damoklesschwert, das über ihnen hing, fallen würde. Und dass sie wieder in einen Krieg getrieben würden, sobald sie anfingen, sich zu entspannen. Doch jetzt, wo er ihr begegnet war, wusste er, dass sie anders war als alle Gestaltwandler, die er je kennengelernt hatte.
Erschöpft stellte Elijah die Tasse ab und ließ sich auf das Kissen neben der Königin fallen. Er drehte den Kopf zu ihr hin und betrachtete sie. Er sah nur die wunderbaren goldenen Haarsträhnen auf ihren bleichen Wangen. Ihre Wangen waren so zart, als würden sie bei der kleinsten Berührung zerbrechen. Er hatte sie nie als zierlich oder zerbrechlich empfunden. Sie war eine ungeheuer starke Frau. Aber sie hatte etwas zutiefst Unschuldiges an sich.
Das hatte nichts damit zu tun, dass sie noch nie einen Geliebten gehabt hatte. Er kannte die Bedingung, die daran geknüpft war, und er wusste, dass sie deswegen so entsetzt darüber war, was zwischen ihnen beiden gerade eben fast passiert wäre. Nein, diese Form der Unschuld hing nicht damit zusammen, dass sie rein körperlich gesehen noch Jungfrau war.
Sobald sie diesen Ort verließen, würden sie sich nur noch bei Empfängen an Noahs Hof sehen, bei denen sie auch anwesend war. Und wenn er dabei ein Wort mitzureden hatte, würden sie sich auch dann nicht begegnen. Er war fest entschlossen, sich von ihr fernzuhalten. Er war ein Krieger, zu größter Disziplin erzogen, und es würde ihm ganz leichtfallen.
Elijah fielen die Augen zu, und er nahm ihren Geruch noch stärker wahr. Das Unwiderstehlichste daran war, überlegte er, während er einschlief, dass er so gut zu ihm passte.
4
Noah schob einen verstaubten Wälzer aus der großen Bibliothek der Dämonen zur Seite, einem Archiv in den Kellergewölben seines Schlosses, in dem die Dokumente ihrer langen Geschichte und die Prophezeiungen aufbewahrt wurden. Drei der riesigen Bücher lagen zum Lesen bereit für ihn. Aber er beachtete sie nicht und begann, in der großen Halle auf und ab zu gehen. Die Unruhe, die ihn in den vergangenen zwei Tagen schon so oft geplagt hatte, hatte ihn wieder erfasst.
Wenn er sagen würde, dass er sich Sorgen machte, dann wäre das untertrieben. Der Anführer seiner Armee war verschwunden, und zwar, was ganz und gar nicht typisch war für ihn, ohne jemandem ein Wort zu sagen, wo er hinwollte. Der König wusste zwar, dass Elijah nach so vielen Jahrhunderten sehr gut auf sich selbst aufpassen konnte, aber die Zeiten waren unsicher. Feinde, Prophezeiungen. Druiden, die wiederentdeckt worden waren, und Hybride, die mit möglicherweise neuen und machtvollen Fähigkeiten geboren worden waren. Männer und Frauen paarten sich plötzlich, weil sie aufeinander geprägt waren, und das war unter den Dämonen, wenn überhaupt, seit über tausend Jahren nicht mehr so gehäuft vorgekommen.
Darum wollte er Wälzer voller alter Weisheiten, geschichtlicher Fakten und Prophezeiungen zurate ziehen, auf denen der Staub der Jahrhunderte lag. Manche waren seit tausend Jahren nicht mehr aufgeschlagen worden und bargen Geheimnisse und Gedanken, die nicht einmal Gideon kannte, obwohl er selbst tausend Jahre alt war. Noah hoffte, dass er so Klarheit in das momentane Chaos bringen konnte. Doch es dauerte lange und es war äußerst mühsam, die archaischen, in der alten Dämonensprache abgefassten Texte zu entziffern.
Am besten geeignet für diese Aufgabe wäre Isabella gewesen, die Vollstreckerin. Aber obwohl Isabella dank ihrer Kräfte als Druidin die Fähigkeit besaß, die Dämonensprache in all ihren Ausprägungen mühelos zu übersetzen, konnte sie sich als frisch gebackene Mutter nicht so kurz nach der Geburt ihres ersten Kindes einem so zeitraubenden Studium widmen.
Gelehrte wie der König suchten in den Werken und in den Prophezeiungen der Vergangenheit nach Lösungen für Probleme der Gegenwart. Das Schicksal hatte großes Gewicht bei den Dämonen; und zwar sowohl für den Einzelnen wie auch für die ganze Gemeinschaft. Sie folgten dem Pfad ihres Schicksals und waren dabei bestrebt, die Prophezeiungen aus der Vergangenheit in der Gegenwart zu erfüllen.
Das hatte es auch so schwer gemacht, den Verrat von Ruth und Mary an ihrem Volk gleich am Anfang zu erkennen. Es war ein beispielloser Verrat. Aber Noah wusste, dass die weiblichen Verräterinnen, die aus ihrer verzerrten Wahrnehmung
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