Schattenwandler 03. Elijah
allein herrschte. Sie hatte sich Sienas Predigten angehört darüber, welches Unheil streitsüchtige, aggressive Männer anrichteten und wie sehr sie ihre Mutter dafür verabscheute, dass sie sich so einen Mann ausgesucht und dass sie zugelassen hatte, dass dieser sie in jene dreihundert finsteren Kriegsjahre führte. Siena hatte geschworen, dass sie bis zu ihrem Tode Jungfrau bleiben und den Thron einer Frau weitervererben würde, statt sich mit einem Mann zu verbinden, der dann gierig die Hälfte ihrer Herrschaft an sich riss.
Für Syreena stand jetzt jedoch eindeutig fest, dass Siena ihren eigenen Schwur gebrochen hatte, wobei dem Ganzen eine tragische Ironie innewohnte. Syreena hatte sie nackt und eng umschlungen gesehen – die unbeugsame und für jede Leidenschaft unempfängliche Königin und den gnadenlosen, zerstörerischen Krieger, die sich glutvoll küssten und die alle beide Verletzungen hatten, die zweifellos von einem sehr hitzigen Liebesakt stammten. Syreena konnte dieses Bild noch immer nicht mit dem in Einklang bringen, was sie über das Wesen ihrer Schwester wusste und was ihre Schwester ihr in diesen vierzehn Jahren eingeschärft hatte über das Unheil, das heraufbeschworen wurde, wenn Männer und Monarchie zusammenkamen.
Vielleicht hätte Anya ihr helfen können, das Ganze besser zu verstehen, aber Syreena hatte schwören müssen, niemandem etwas zu erzählen, auch nicht der Frau, die die geheimsten Gedanken und Gefühle der Königin kannte.
Natürlich hatte Syreena, die sich nach einem Mann, nach einem Heim und nach Kindern sehnte, Sienas Vorurteile gegenüber Männern stets ignoriert. Sie wusste, wo die ganze Wut herkam und dass ihre Schwester, je weiser sie wurde – oder je einsamer –, ihre Ansichten würde überdenken müssen. Aber die Prinzessin hätte nie gedacht, dass es jemanden gab, der Siena derart entflammen und der ihr Theoriegebäude ins Wanken bringen könnte. Syreena schwankte zwischen Mitgefühl und Belustigung, und sie wich noch tiefer in die Dunkelheit zurück, damit ihre Schwester ihre Gedanken und Gefühle nicht erahnte und sich darüber erboste.
Anya hörte Syreenas Bewegung, aber sie richtete ihren Blick unverwandt auf die Frau, die im Saal auf und ab ging. Die Königin hatte die Arme um sich geschlungen, als brauche sie Trost. Deren ungewohntes Schweigen erfüllte Syreena mit Sorge und machte sie nervös und wachsam.
„Es sieht ihr gar nicht ähnlich. Sie ist so …“ Anya versuchte, in Worte zu fassen, was sie sah, und warf Syreena einen hilfesuchenden Blick zu.
„In sich gekehrt“, sprang Syreena ihr bei. „Wir sind es so gewöhnt, dass sie gleich zu uns kommt, wenn etwas sie irritiert oder stört.“
„Was, glaubst du, ist passiert?“, flüsterte Anya.
„Ich kann nur raten“, log Syreena. „Sie ist blass. Wenn ich mich nicht irre, ist sie sonnenkrank.“
„Siena?“ Anya stieß einen ungläubigen Laut aus. „Siena leidet nicht so stark unter der Sonne wie wir anderen.“
„Ich auch nicht, aber das macht mich nicht immun. Selbst diejenigen von uns, die längst nicht so schnell sonnenkrank werden wie der Durchschnitt, bekommen die Symptome, wenn sie der Sonne nur lange genug ausgesetzt sind“, erwiderte die Prinzessin ruhig. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und tat so, als würde sie das handgemeißelte Muster auf dem Steinboden unter ihren Füßen betrachten.
„Es ist seltsam, dass sie die ganze Zeit in Einsamkeit verbracht haben soll und dann so aufgewühlt zurückkommt“, bemerkte Anya. „Es muss irgendeinen Auslöser gegeben haben.“
„Ich würde nicht anfangen herumzuspekulieren. Ich denke, sie wird es uns sagen, wenn sie so weit ist.“
Anya sah Syreena an, und ihre Fuchsaugen verengten sich.
„Hast du nicht irgendetwas gesehen, als du sie gefunden hast?“
Syreena sah die Fuchsfrau mit ihren zweifarbigen Augen an.
„Was zum Beispiel?“
„Ich weiß nicht“, murmelte die Halbfüchsin. „Ich habe einfach das Gefühl, als fehlt etwas. Sie … riecht irgendwie falsch.“
„Wenn du das zu laut sagst, kriegst du eine gewischt“, flüsterte die Prinzessin und brachte Anya damit zum Lachen. „Wir können nur abwarten und darauf vertrauen, dass sie irgendwann mit einer von uns darüber redet, was los ist. Bis dahin werde ich mich nicht an deinem Getratsche beteiligen.“
„Mein Getratsche war schon oft sehr nützlich für diesen Hof“, entgegnete Anya. Dann kicherte sie leise. „Aber eins sag ich dir: Auch wenn die
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