Schattenwandler 03. Elijah
wir einander im Auge behalten.“
Wenn es so einfach wäre, dem Paarungsinstinkt zu widerstehen, der Elijah an Samhain übermannen würde, dachte Noah. Dämonen, die ihren Paarungsinstinkt an Samhain auf Menschen irreleiteten, waren eine Sache, und es war Jacobs Pflicht, dem Einhalt zu gebieten. Elijah jedoch war geprägt, und nichts würde ihn davon abhalten, seinem Paarungsinstinkt zu folgen. Nur der Tod.
Wenig später löste sich der Krieger in Luft auf, und Noah sah der wirbelnden Brise nach, die am Kamin vorbei durch das offene Fenster zog.
Kurz darauf materialisierte sich Gideons Astralleib vor Noah.
„Kannst du irgendetwas für ihn tun?“, fragte der König.
„Nein. Elijah ist nicht derjenige, der sich unvernünftig verhält. Die Schuld liegt bei Siena.“
„Ich weiß. Aber ich kann ihr auch keinen Vorwurf machen. Sie weiß nichts über uns, nur das, was sie von dir erfahren hat. Aber das ist etwas ganz anderes, als in dem Wissen aufzuwachsen, was in so einer Situation von einem erwartet wird.“
„Aber sie widersetzt sich ja sogar den Traditionen, mit denen sie aufgewachsen ist“, wandte Gideon ein. „Die Überlieferung von dem Halsband, das sie trägt, ist ganz klar. In dem Moment, als Elijah es ihr abnahm, war sie sein. Ich glaube, Elijah weiß gar nichts davon. Ich habe es ihm nicht erzählt, weil ich ihn nicht noch mehr quälen wollte. Es wäre sehr schmerzlich für ihn, wenn er wüsste, dass sie sich lieber über ihre eigenen Traditionen hinwegsetzt, als ihn zum Mann zu nehmen.“
„Aber es muss doch irgendetwas geben, was wir tun können.“
„Das gibt es auch. Wir können einfach auf den Vollmond an Samhain warten und der Natur ihren Lauf lassen. Die Natur hat uns diesen Drang, der uns überkommt, nicht ohne Grund mitgegeben. Es ist ein ziemlich kluger Trick, wenn man so darüber nachdenkt.“
„Eine Vergewaltigung herbeizuführen? Denn so wird Siena es empfinden. Wenn du Legna nicht rechtzeitig für dich gewonnen hättest, wäre es bei euch dann nicht auch so gewesen?“
„Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Legna hätte verstanden, dass ich nicht anders konnte. Und sie hätte ja unter demselben Zwang gestanden. Ich glaube übrigens nicht, dass es bei Siena anders ist. Es ist auch bei Bella oder bei Corrine oder bei irgendeinem anderen Druiden so. Wenn der Drang diese Spezies erfasst, dann erfasst er höchstwahrscheinlich auch die andere. Ich habe Siena vor Kurzem gesehen. Sie ist blass, und sie sehnt sich ganz eindeutig nach dem, wogegen sie sich sträubt.“
„Ich bin mir nicht sicher, ob ich sie verstehe, Gideon. Wenn jemand einen Dämon mit offenen Armen in die Gemeinschaft aufnehmen würde, dann sie. So wie sie dich und Legna willkommen geheißen hat.“
„Wir sind auch keine Bedrohung für ihre Herrschaft und für ihr Verständnis von Unabhängigkeit.“
„Es gibt kaum jemanden, dem so wenig daran liegt, die Regentschaft mit ihr zu teilen, wie Elijah. Alles, was er will, ist sie. Und zwar freiwillig. Er will, dass sie aus freien Stücken zu ihm kommt. Ihre Unabhängigkeit ist die Voraussetzung dafür.“
Gideon hob plötzlich nachdenklich die silbernen Brauen.
„Das ist vielleicht ein wichtiger Punkt“, überlegte er. „Für Siena hat ihre Herrschaft einen hohen Stellenwert. … Noah, ich glaube, ich kann dem Heerführer vielleicht doch helfen.“
Mit einem kurzen silbernen Aufblitzen verschwand Gideon, ohne dem König eine Erklärung zu geben.
Lass mich kurz allein, bevor du zu uns kommst.
Bist du dir sicher? Beim letzten Mal hat sie ganz schnell die Beherrschung verloren.
Du wirst schon wissen, wann du kommen musst. Ich vertraue dir, Schatz.
Legna freute sich über diese Bemerkung und zog sich aus den Gedanken ihres Mannes zurück, als der sich dem Thronsaal näherte.
Siena hatte die äußeren und inneren Räume des Thronsaals nach und nach wieder für ihren Hof geöffnet, sodass ziemlich viele Leute da waren und die Wachen ihn anstandslos durchließen. Es waren nicht mehr die, die vor ein paar Tagen Sienas Wutausbruch mitbekommen hatten, und so gab es für sie keinen Grund, ihn aufzuhalten.
Auch Legna war im Saal. Sie stand in einer entfernten Ecke außerhalb des Blickfelds der Königin und unterhielt sich mit einer Gruppe lykanthropischer Herren, die den Anblick der wunderschönen Dämonin erfreulich fanden für das Auge und für den Geist. Anders als Jacob irritierte das Gideon nicht im Geringsten. Sie lächelte und lachte viel, und das war wunderbar.
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