Schattenwandler 04. Damien
Hunger stillen, also konnte das nicht der Grund dafür sein. Sein Körper hatte sich noch längst nicht erholt von dem, was er erlitten hatte. Das gab ihm ein Gefühl von Hilflosigkeit, und er hasste es. Was würde er nicht geben für einen guten Dämonenheiler.
„Syreena?“
„Sie ruht sich aus“, versicherte ihm Windsong und legte ihm eine Hand auf den Arm, damit er liegen blieb, denn er wollte instinktiv aufstehen und selbst nachsehen. Er wäre verantwortlich, wenn der Lykanthropenprinzessin etwas zustieß, und er wollte lieber seinen Kopf riskieren als das zulassen.
Der leidenschaftliche Gedanke überraschte ihn, und er musste laut auflachen. Das Lachen war fehl am Platz, auch für die beiden Frauen neben seinem Bett. Er wusste es, weil sie befremdete Blicke austauschten. „Wird sie es überleben?“
„Dank dir“, sagte Windsong und ließ ihn so wissen, dass sie im Bilde war darüber, was er getan hatte, um sie zu retten.
„Das war Glück“, verbesserte er sie mit einem tiefen Seufzer. „Großes Glück.“
„Dann sollten wir dein Glück in unsere Gebete einschließen, bevor wir heute Morgen schlafen gehen“, sagte Windsong.
„Wie lange noch bis zur Dämmerung?“, fragte er. Normalerweise warnte seine innere Uhr ihn vor der Dämmerung, doch es überraschte ihn nicht, dass seine Reaktionen ein wenig eingeschränkt waren.
„Es ist schon hell“, sagte die kleine Lehrtochter, überrascht, dass er das nicht wusste, wie man ihrer zarten Stimme anhörte.
„Danke, Herzchen!“, sagte er und schloss eine Minute lang die Augen. Er sah nicht, wie sie rot wurde, als er diesen Kosenamen sagte. „Im Moment würde ich es erst merken, wenn ich schon halb geröstet wäre.“
Lyric lachte überrascht auf und schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund. Er lächelte sie gewinnend an und schob lässig eine Hand unter seinen dunkelhaarigen Kopf.
„Du willst also Heilerin werden?“, fragte er. „Du lernst bei der Besten. Die Frau, die ihr heute gerettet habt, hätte ohne Windsong das Erwachsenenalter nie erreicht.“
Lyrics Augen weiteten sich. „Wir machen meistens Kräutermedizin zusammen. Windsong zieht mich bei schweren Fällen nicht hinzu.“
„Bis dahin ist es auch noch ein weiter Weg. Alles zu seiner Zeit“, belehrte die ältere Sirene sie bestimmt, während sie Damien mit ihren großen blauen Augen zuzwinkerte. „Ist es nicht erstaunlich, wie erpicht die jungen Leute darauf sind, sich in Schwierigkeiten zu bringen?“
Damien lachte und nickte. Er hatte mehr als genug frühreife Vampire mit diesem Wesensmerkmal kennengelernt. Jasmine war eine davon gewesen.
„Und jetzt, Lyric, setz dich wieder hin und sing dein Heilerlied“, leitete Windsong ihre Schülerin an und führte das in Ehrfurcht erstarrte Mädchen zu ihrem Stuhl. „Lyric hat eine außergewöhnliche Stimme, Damien. Ich denke, sie wird dich in null Komma nichts in den Schlaf singen.“
„Daran zweifle ich nicht im Geringsten“, sagte Damien.
Er entspannte sich in seinem Bett, so gut er konnte, schloss die Augen und versuchte, den furchtbaren Schmerzen, die noch in seinem Gedächtnis und seinen Nerven nachhallten, keine Beachtung zu schenken.
Wie versprochen, begann Lyric für ihn zu singen. Nach ein paar unsicheren ersten Tönen erklang das Heilerlied, das sie immer und immer wieder geübt hatte. Sie war verwundert und fühlte sich geehrt, dass ihr erster richtiger Patient ausgerechnet der Vampirprinz war. Sie konnte es kaum erwarten, Thrush von der abenteuerlichen Erfahrung in dieser Nacht zu erzählen. Er würde es nicht glauben! Sie konnte es ja selbst kaum glauben.
Lyrics Stimme wehte über Damien hinweg wie eine Brise, die zuerst in Böen dahinfegte und dann gleichmäßig blies. Das Lied selbst war erfüllt von beruhigenden Bildern, von Feldern und von frischer Luft und von Mondlicht, das auf die Flügel der Nachtfalter schien. Er ließ sich einlullen von dieser besonderen Art von Magie. Solange Windsong da war, waren sie in Sicherheit.
Mit diesem Gedanken sank Damien in wohligen Schlaf.
5
Er erwachte wieder beim hellen Klang eines Lieds, das aus dem Nebenzimmer kam.
Er erkannte das junge Talent von Lyrics noch ungeübter Stimme. Ein paar Jahrzehnte intensiven Studiums unter Anleitung ihrer Mentorin, dachte er, und sie würde so natürlich und so unglaublich schön klingen wie die Stimme, die plötzlich in den Gesang einfiel.
Er lag ruhig da und lauschte minutenlang. Ohne dass er es wollte, versetzten sie ihn in
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