Schattenwandler 04. Damien
für mich aufs Spiel gesetzt, als wärst du nicht verantwortlich für ein ganzes Volk! Das war töricht und albern!“
„Es wäre mein eigener Fehler gewesen“, erwiderte er scharf. „Ich bin es nicht gewohnt, dass Leute kritisieren, was ich tue, Syreena.“
„Nun, dann sollten sie vielleicht damit anfangen! Ich hätte Siena niemals erlaubt, so etwas Dummes zu tun!“
„Ach ja? So wie du verhindert hast, dass sie beinahe ihr Leben gelassen hätte für ihren Mann?“
Er hatte das Messer an einer empfindlichen Stelle einmal umgedreht, das konnte er an dem Ausdruck in ihren Augen ablesen. Erst da wurde ihm klar, dass sie sich selbst verantwortlich machte dafür, dass ihre Schwester letzten Oktober dem Tode so nah gewesen war.
„Sollte ich dich etwa verbluten lassen, Syreena?“, fragte er leise und versuchte etwas von dem Schmerz zu lindern, den er ihr mit seinen Worten zugefügt hatte. „Warum stellst du mein Leben über das deine?“
„Weil ich nicht so besonders bin, dass ein ganzes Volk um meinetwillen seinen Herrscher verlieren sollte!“
„Du hast Glück, dass ich mit dieser Einschätzung nicht übereinstimme.“
Doch Damien spürte, dass hinter ihrer Bemerkung noch etwas anderes steckte außer dem momentanen Streit. Doch es passte nicht so recht ins Bild für ihn. Er hatte sie nie als jemanden gesehen, der sich selbst abwertete.
Sie schaute ihn ungläubig an, so als wäre er nicht ganz bei Verstand, ließ ihren Blick über ihn gleiten, als suchte sie nach einer Antwort und nach einer Logik, die nicht zu greifen waren, und beugte sich dann vor, um ihn zu küssen.
Damien war überrascht von der dreisten und unerwarteten Geste, während seine Hände reflexartig ihre Arme umfassten, als sie ihren warmen Mund sanft auf den seinen presste. Ihre nicht verbundene Hand legte sich auf seine Wange, und ihre Augen schlossen sich für einen schmerzhaften Augenblick.
Er schmeckte ihre salzigen Tränen.
Sie wich ein paar Zentimeter zurück, mit zitterndem Körper, als er ihr verwirrt in die Augen sah.
„Warum hast d u … ?“
„Weil“, unterbrach sie ihn mit einem Schluchzen, „weil es ein Märchen ist, Damien. Und im Märchen küsst die Prinzessin den Prinzen, der sie gerettet hat.“
Es war bezaubernd und geistreich, was sie da sagte. Sie war eine kluge, überaus starke und nüchterne Frau, die sich nie etwas vormachte, und trotzdem war sie bereit, sich als hoffnungsvolle Idealistin zu geben, um ihre Dankbarkeit zu zeigen. Er merkte, dass dies eine Charaktereigenschaft war, die sie gut versteckte und die nur ganz wenige Menschen an ihr mitbekommen durften. Das bedeutete Damien viel mehr als irgendeine wortreiche Erklärung, egal in welcher Sprache.
„Syreen a … “ Er hielt inne, um sich zu räuspern. „Ich bin kein Held“, sagte er kurz angebunden. „Mach mich also nicht dazu.“
Sie widersprach dieser Behauptung, indem sie ihn mit ihrem Mund zum Schweigen brachte.
Diesmal hatte Damien es kommen sehen, dennoch war er nicht besser vorbereitet. Es war nicht nur ein kurzer, spontaner Ausdruck ihres Danks. Das war ein bisschen anders, und instinktiv wusste er das auch.
Ganz gegen die Stimme der Vernunft, die schrill in seinem Kopf erschallte, gönnte sich Damien den Luxus, ihre Lippen zu spüren. Weniger unvorbereitet, konnte er einen Moment darüber nachdenken und erwiderte die intime Berührung mit der gleichen Wärme und Intensität. Seine Hände gruben sich in ihr Haar, seine Finger streichelten es ganz sanft, ohne dass er vergaß, was sie durchgemacht hatte, und ohne dass er ihr wehtun wollte.
Syreena legte ihre Finger auch so um seinen Kopf, dass er sich nicht abwenden konnte. Seine dunklen Augen blickten auf der Suche nach etwas, das sich ihrem Verständnis entzog, direkt in die ihren. Ihre Augen erwiderten seinen Blick voller Gewissheit und voller Stärke. Sie wusste, was sie wollte, und sie hatte erstaunlicherweise nicht den geringsten Zweifel daran. Dieser Augenblick war dazu da, um dankbar und sanft zu sein, und vor allem, um etwas zu fühlen, was nichts von Schmerz oder von Kampf an sich hatte.
Es war einfach das, was es war.
Ein Kuss.
Ein Kuss zwischen einem Mann und einer Frau.
Nicht Schattenwandler. Nicht Prinz und Prinzessin. Nicht ein Vampir und eine Lykanthropin.
Einfach nur ein Mann und eine Frau.
Damien schloss die Augen, als ihn diese Gewissheit durchdrang. Jetzt schien er plötzlich zu bemerken, dass die sanfte, erhitzte Weichheit ihres Mundes nichts mit den
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