Schattenwandler 05. Noah
etwas getan hatte. Die größte Kränkung war gewesen, dass sie dem Verlangen ihres eigenen Körpers nachgegeben hatte, ein Akt, der Lohn war und Folter zugleich. Es war ihr trotzdem zuwider, wie einfach er sie beeinflussen und manipulieren konnte.
»Weil du mich nicht in Ruhe lässt«, antwortete er, und Anspannung schwang in seinen Worten wie überdehnte Klaviersaiten, so wie sie auch durch die starken Muskeln ging, an die er sie gepresst hielt.
»Lass mich los, und ich werde dich gern in Ruhe lassen«, presste sie zwischen den Zähnen hervor. »Du hast keine andere Wahl. Ich würde eher einen Stepptanz auf Nitroglyzerin vollführen, als dir etwas über mich zu verraten!«
Er lachte, und ihr Gesicht wurde rot vor Wut. Sie hasste es, wenn sie nicht ernst genommen wurde, ausgelacht, als wäre sie eine Art Witzfigur.
»Sag mir, wo du bist«, knurrte er leise. »Ich muss diese spitze Zunge finden.«
Plötzlich glitten seine Finger über ihr Gesicht. Sie machte einen Satz zurück, doch kaum hatte sie das getan, tanzten sie über ihren Nacken und über ihr Rückgrat, gefolgt von seinem unheimlich nahen Atem. Er hatte eine Art, sie nicht aus den Händen zu lassen, wie es sie nur in Träumen gab. Mit Gefühl und mit unerwarteten Gegensätzen. Gegensätzen, die über ihre Nervenenden jagten und ihren Widerstand mit zielstrebiger, sinnlicher Kriegskunst niederrangen.
»Nein … das darfst du nicht noch einmal tun!«
»Genau«, sagte er auf einmal in sanftem Ton. Seine Finger hielten still, und sein Atem formte sich zu einer heißen Wolke an ihrem Nackenschwung zwischen Hals und Schulter. Sie spürte das Beben, das durch seinen Körper lief. Es verriet, wie sehr er sich zurückhalten musste. Ihre Erinnerungen an frühere, hemmungslosere Träume füllten die Lücke. »Das macht alles nur noch schwerer«, sagte er schließlich.
Kestra schluckte geräuschvoll und drehte den Kopf zur Seite, während in ihren Augen unerklärliche Emotionen brannten. Er hatte gerade die Gefühle und die Enttäuschung in Worte gefasst, die sie soeben empfunden hatte. Aber natürlich tat er das. Er war ein Geschöpf ihrer Fantasie, und ihre wachen Gedanken folgten ihr in die Träume.
Aber hatte sie nicht irgendwo gelesen, dass in dem Moment, in dem man bemerkte, dass man träumte, der Traum seine Wirkung verlor? Dass man meistens kurz danach erwachte? Wenn das so war, worauf wartete sie dann noch? Wartete sie etwa auf seine verfluchte Berührung, wie magisches und funkelndes Sternenlicht, das auf ihrem steifen und widerstrebenden Körper spielte? Wünschte sie sich, dass es ihn wirklich gab, damit sie ihn spüren konnte? Auf eine Weise spüren, wie sie es nicht konnte, wenn sie wach war?
»Nein, Kikilia«, murmelte er sanft an ihrer Stirn. »Diesmal kann es anders sein. Sag mir, wer du bist, und ich kann dir zeigen, wozu du fähig bist, wenn du wach bist. Sag mir deinen Namen, und ich werde dich finden und diese gegenseitige Folter ein für alle Mal beenden.«
Auf die Bitte hin wollte sie ihm zuerst ins Gesicht lachen, doch dann folgte ein kalter Schauer nackter Angst. Es gab nicht viel auf der Welt, was ihr Angst machte, doch sein Vorschlag löste diese unheimliche Panik aus. Sie war so betäubend, dass es sie ihre ganze geballte Kraft kostete, nur ein einziges Wort herauszubringen.
»Niemals.«
»Sie muss es dir sagen, Noah. Bring sie dazu«, drängte Corrine, und er spürte ihren keuchenden Atem an seiner Wange, als sie ihm ins Ohr flüsterte. »Ich habe dich so nah herangeführt, wie ich konnte. Bring sie dazu, es dir zu sagen, Noah.«
Kestra spürte, dass sich in seinen Absichten und in seinen Gefühlen etwas veränderte. Er war auf einmal ungeduldig, und das Gefühl wischte jede Sanftheit und Sinnlichkeit weg. »Warum wehrst du dich so gegen mich? Jeden Abend kämpfst du, bis du zu schwach bist, etwas zu leugnen, was du dir eigentlich eingestehen musst. Diesen Schmerz brauchst du nicht zu durchleiden.«
»Wenn ich nur weiblicher, sanfter und gefälliger wäre? Ich bin keine Dame? Nun, du hast recht. Ich kann mich nicht benehmen, ich spreche nicht leise, und ich bin nicht freundlich. Sechs Monate zerrst du nun an mir herum, und du weißt immer noch nicht das Geringste über mich. Ich denke, ich träume ab jetzt lieber von einem etwas schlaueren Typen.«
Wieder das frustrierende Kichern, als würde sie ihm besser gefallen, je unhöflicher und ungehobelter sie war. Er machte sie wahnsinnig!
»Ich war schlau genug, deinen Stacheln
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