Schattenwandler 05. Noah
falls die Person im Gang bewaffnet war, also hechtete sie über die Frühstückstheke in die Küche, wo sie außerhalb seiner oder ihrer Sichtweite war. Unglücklicherweise entfernte sie sich dadurch weit vom einzigen Ausgang der Dachwohnung.
Sie griff nach der Pistole in ihrer Tasche und ließ alles andere fallen, umschloss sie mit beiden Händen und legte den Finger auf den Abzug. Sämtliche Hinweise darauf, dass es Ärger geben würde, lagen auf einmal klar vor ihr, und sie fluchte, dass sie diese nicht schon zu Beginn beachtet hatte. Sands schweißnasse Hände. Die Frage, ob sie für Geld töten würde. Er war nervös gewesen und hatte irgendwie gespürt, wie gefährlich sie sein konnte. Was er dabei nicht miteinkalkuliert hatte, war, dass sie Selbstverteidigung nicht als Mord betrachtete, und sie zögerte nicht, jemanden zu töten, der das Gleiche mit ihr zu tun gedachte.
Sie warf einen Blick auf Sands, während sie sich in den Kücheneingang wagte. Er war immer noch bewusstlos und blutete heftig auf den vormals makellosen Teppich direkt neben ihren Schuhen. Sie fragte sich, wie viele Leute noch in der riesigen Wohnung waren.
Sie wickelte die Geldübergabe normalerweise nicht an einem privaten Ort ab, und jetzt fiel ihr auch wieder ein, dass das eine gute Regel war. Außerdem hatte sie Jim von seiner üblichen Pflicht befreit, sie zur Sicherheit aus einem in der Nähe geparkten Fahrzeug im Auge zu behalten.
Aber jetzt war nicht der richtige Moment für Selbstvorwürfe, also schob sie die Sache mit den falschen Entscheidungen beiseite und konzentrierte sich darauf, lebend und vorzugsweise unverletzt aus der Situation herauskommen.
In Wirklichkeit war sie geliefert, und sie wusste es.
Und eine Sekunde später wurde es Wirklichkeit, als die Wand neben ihrem Kopf explodierte. Sie schrie auf, als Teile der Wand in alle Richtungen flogen und als gleich darauf von der anderen Seite her geschossen wurde. Alles, was sie tun konnte, war, sich auf den Boden zu werfen, als die Wand einstürzte und der Putz auf sie rieselte, nachdem eine Kugel eine Leitung getroffen hatte und das Wasser herauslief. Sie hatte keine andere Wahl, als rasch rückwärts in den Wohnzimmerbereich zu kriechen.
Kaum hatte sie die Knie auf den Teppich gesetzt, da packte eine riesige Pranke sie an ihrem geflochtenen Zopf und riss sie grob hoch.
Wie so oft in solchen Situationen gelang es ihr nicht, herauszufinden, warum man es auf sie abgesehen hatte.
Sie spürte das Brennen einer heißen Pistolenmündung an ihrer Schläfe, bevor sie in den Kopf geschossen wurde.
4
Eine Woche später
In der darauffolgenden Woche öffnete Corrine die Tür, nachdem ein leises Klopfen ihre Aufmerksamkeit erregt hatte. Vorsichtig spähte sie hinaus, und ihr Mund formte ein überraschtes O, als sie Noah sah. Über der Schulter des Dämonenkönigs hing schlaff Corrines schlafende Nichte.
»Was machst du mit ihr? Ihr die Energie aussaugen?«, warf sie ihm aufgebracht vor. »Bei mir schläft sie nie so!«
»Ich hoffe, sie stört uns nicht«, flüsterte Noah über die rabenschwarzen Locken hinweg, die eine deutliche Mischung der elterlichen Merkmale waren. »Ich musste kurzfristig als Babysitter einspringen.«
»Weil ich ihnen absagen musste.« Corrine kicherte. »Kannst du denn nie Nein sagen?«
»Warum sollte ich?«, fragte er und zuckte die freie Schulter.
»Du hast recht. Ich denke, es ist in Ordnung, so fest wie sie schläft. Bringen wir sie rein. Ich nehme an, du konntest Kestra auf körperlicher Ebene nicht finden.«
»Nein, noch nicht. Außer ihrem Namen, ihrer Haarfarbe und der Tatsache, dass sie eine Art amerikanisches Englisch spricht, gibt es nicht viele Hinweise.«
»Nun, darum kümmern wir uns heute Abend.«
»Corrine?«
»Ja?«
Der Dämonenkönig zögerte, als sie sich umdrehte und ihn erwartungsvoll ansah.
»Ich habe seit fast einer Woche nicht von ihr geträumt.«
»Noah«, schalt sie ihn sanft und drückte seine Hand, die auf dem Rücken ihrer Nichte lag. »Mach dir keine Sorgen. Je näher du ihr kommst, desto weniger musst du von ihr träumen, um mit ihr in Kontakt zu kommen.«
»Bist du sicher? Es fühlt sich an … ich habe das Gefühl, als wäre in mir plötzlich eine Leere. Die Träume haben mich verrückt gemacht, aber auf einmal wünschte ich, ich hätte mich nie darüber beklagt.«
»Entspann dich. Leg die Kleine aufs Sofa und komm mit in mein Allerheiligstes. Lass uns mit dem Ritual anfangen und deinen Geist
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