Schattenwandler 05. Noah
Dann sah sie, wie Noah hereinkam, ein Handtuch um die Hüften geschlungen und ein zweites, mit dem er seine nassen Locken trocknete. Sie hielt den Atem an, während sie ihn betrachtete. Es war viel zu anmutig für jemanden von seiner Größe. Seine Muskeln bewegten sich unter der Haut mit jener verhaltenen Kraft, die sie an einen Panther erinnerte, der sich langsam und sicher in seiner natürlichen Umgebung bewegte.
Ihn mit einem Raubtier zu vergleichen war nur natürlich. Er war genauso höflich und wohlerzogen wie sie, doch als Frau hatte sie es leichter, ihre gefährliche und todbringende Seite zu verbergen. Doch ein Mann von seiner Erscheinung musste das gegenteilige Vorurteil widerlegen – dass alles, was er tat, männlich und aggressiv und sehr wahrscheinlich gewalttätig war. Doch so langsam dämmerte ihr, dass in diesem Mann viel mehr steckte als seine Männlichkeit; da war eine Tiefe, die augenblicklich ganz hinten in ihrem Kopf einen Alarm auslöste. Sie begann sich zu wohl zu fühlen. Sie mochte ihn wirklich. Doch sie konnte sich keine Verknalltheit oder, schlimmer noch, irgendwelche Verwicklungen leisten. Während sie ihm dabei zusah, wie er mit der größten Ungezwungenheit durch den Raum ging, wurde ihr klar, dass sie sich nirgendwo verstecken konnte, wenn dieser Mann sie wollte.
Das Problem war, dass sie das bereits gewusst hatte, als sie ihn zum ersten Mal sah. Dabei war ihr längst klar, dass es viel zu spät war, um von diesem Zug abzuspringen, der sie in seine Richtung trug.
Okay, einverstanden, sagte sie sich. Das könnte auch lustig werden. Es birgt große Möglichkeiten. Er ist verdammt sexy, ein großartiger Liebhaber, soweit sie das aufgrund der allzu kurzen Kostprobe beurteilen konnte, und er ist kein Dummkopf, der mich zu Tode langweilen würde. Es zog sie zu ihm hin. Okay. Korrektur. Sie war heiß auf ihn. Und er hatte diesen reizenden Sinn für Ehre und Anstand, also falls sie das Ganze beenden wollte, musste sie ihm nur erzählen, wie sie ihren Lebensunterhalt verdiente. Ja, das würde ihn augenblicklich in die Flucht schlagen.
Sie durfte bloß keine Dummheiten machen. Wie sich in ihn zu verlieben. In seinem Fall war es also wahrscheinlich tatsächlich am besten, jedes Gefühl zurückzuhalten. Denn trotz seiner körperlichen Erscheinung und seiner machtvollen Aura bestand die Gefahr darin, dass Noah eine Bedrohung für ihr Herz war, das sich nach Nähe sehnte, nach etwas anderem als der Kameraderie, die sie mit einer einzigen Person verband: mit James.
»Hey, bist du bei Bewusstsein?«
Die spöttische Bemerkung lenkte ihre Aufmerksamkeit auf Noah, wie er vor den Schrank neben dem Bett trat. Wie kam es nur, dass sie immer in einem Bett oder in einem Zimmer mit ihm landete, wo einer von beiden oder gar beide halb oder ganz nackt waren? Wahrscheinlich bloß Zufall. Die Frage war nur, ob es sich um einen glücklichen oder um einen unglücklichen Zufall handelte.
Gut. Sie betrachtete ihn und unterdrückte einen Seufzer. Wirklich gut. Der Mann war eine wandelnde Sünde; nun ja, im Grunde genommen hatte sie schon gesündigt und dafür gebüßt. Und sie büßte immer noch. Sie konnte spüren, wie der körperliche Schmerz größer wurde, als Noah näher kam. Ihre Libido wurde bei seinem Anblick geweckt und ihr Verstand ebenfalls. Wenn sie ihr Herz und ihre Seele heraushalten könnte, würden sie eine Menge Spaß zusammen haben.
Sie wusste, dass er sie wollte. Und sie wusste auch, dass das eine Untertreibung war. Sein Verlangen war ihm an den Augen abzulesen, obwohl er es hinter Wolken aus Rauchgrau und hinter seinen guten Manieren zu verstecken versuchte. Kestra spielte am Kragen ihres Kleides herum, während sie ihn in Augenschein nahm, ohne den Blick abzuwenden. Wasser perlte über seine dunkle Haut und rann mit verführerischer Langsamkeit über Brust, Arme und Rücken. Kestra leckte sich abwesend über die Lippen, als sie sich vorstellte, wie sie den Tropfen auffangen würde, der gerade über seinen Bauch zum Nabel rann.
Das lenkte ihren Blick auf die dunkle Behaarung, die bis zum Rand des Handtuchs verlief. Der Stoff verdarb ihr ein wenig den Spaß und zwang sie, den Blick tiefer schweifen zu lassen. Sie musste zugeben, dass seine Oberschenkel reine Kraft und Männlichkeit waren. Kes rückte ein Stück, und Wärme durchflutete ihren ganzen Körper, als sie sich vorstellte, wie sie ihn berührte, schmeckte … und den sinnlichen Duft seiner Männlichkeit roch.
Nein, es wäre gar
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