Schattenwandler 05. Noah
nicht schlecht, sich ein Weilchen mit ihm zu vergnügen, sofern er die Sache genauso unverbindlich sah wie sie. Sie sehnte sich nach dem, was er in ihr geweckt hatte. Sie hungerte regelrecht danach. Sie war so aufgewühlt, dass sich eine dünne Schweißschicht auf ihrer Haut bildete. Sie musste einen beruhigenden Atemzug nehmen, bevor sie ihn ansprang, als wäre sie sexbesessen.
Das passte überhaupt nicht zu ihr. Wie kam sie nur auf solche Gedanken? Wieso empfand sie so? Sie war erregt, und ihr Körper verlangte nach ihm, auch wenn er, der sich im Zimmer hin und her bewegte, nichts davon wusste. Wenn er sie anschauen und ihre glänzende Haut und die harten Brustwarzen unter dem roten Samt entdecken würde, was würde sie tun? Ihn zu sich herunterziehen? Ihn einladen, die Leere zwischen ihren Beinen zu füllen, die er hinterlassen hatte? Wäre das so ein großes Verbrechen?
Noah öffnete die Tür des Kleiderschranks und trat aus ihrem Blickfeld, bemüht, seinen Ausdruck, seine Gefühle und sein Verlangen, das wie ein Sturm in ihm tobte, gewaltsam zu verbergen. Er senkte den Kopf und versuchte zu atmen, versuchte das erhitzte Blut, das in seine eiserne Härte floss, zu beruhigen, bis es schmerzhaft pochte. Selbst wenn er die Erregung nicht wahrgenommen hätte, die ihren Körper erfasste, selbst wenn er die ansteigende Körpertemperatur nicht wahrgenommen hätte, hätte er ihre Gedanken gelesen. Sie waren so machtvoll, dass sie die Grenzen ihres Geistes gesprengt hatten und in seinen Geist eingedrungen waren. Keine Worte oder Sätze, doch gewagte Bilder ihres Begehrens nach ihm, ihrer Gier und ihres Verlangens, mit dem ihr Körper nach ihm schrie.
Er war es gewöhnt, die Gedanken und Bilder seiner Schwester Legna zu empfangen. Als Geistdämon hatte sie zur Übung und als spontane Resonanz auf ihre enge geschwisterliche Bindung stets emotionale Erlebnisse mit ihm geteilt.
Doch das war nichts im Vergleich zu den leidenschaftlichen Gedanken seiner geprägten Gemahlin. Von ihrem Verlangen nach ihm zu wissen und in aller Deutlichkeit zu erfahren, was sie wollte, war berauschend. Doch sie wusste nicht, dass er bereits ihre Gedanken lesen konnte. Er musste vorsichtig sein. In ihrer Unerfahrenheit konnte sie sein Begehren für ihres halten. Sie konnte seine unauslöschliche Gier unbewusst spiegeln, wenn sie eine Verbindung zu dem herstellte, was er so mühsam zu unterdrücken versuchte. Er hielt die heftigen Leidenschaften in sich verborgen, und Kestra brachte seine Selbstkontrolle mehr ins Wanken als irgendjemand sonst. Während viele dieser Leidenschaften höchst vergnüglich sein konnten, gab es auch welche, die eine Gefahr darstellten.
Noah dachte, dass nicht einmal Dämonen die Gefühle gänzlich verstanden, die mit dem Element Feuer einhergingen. Sie glaubten, Gefühle wären etwas Weibliches und deshalb weniger gefährlich. Sie dachten, bei ihm ginge es nur um das Körperliche, das Feuer, die Energie. Gefühle gehörten zu Hannah, seiner Schwester, einem weiblichen Feuerdämon.
Doch ab einem bestimmten Alter gab es nichts Absolutes mehr, wenn es um Dämonenkräfte ging. Vielleicht lag sogar eine genetische Disposition vor. Da die Zeit näher rückte, die aus ihm einen Ältesten machen würde, nahmen seine Fähigkeiten zu, doch gleichzeitig wurden seine Gefühle auch unberechenbarer. Nur seine Studien, seine Verantwortlichkeiten und ein eiserner Wille hatten ihm geholfen, sie unter Kontrolle zu halten. Eifersucht, Wut, Zorn, Hass, Leidenschaft, Liebe, Unterwerfung, Schmerz, Loyalität, Freude, Ekstase. Das Potenzial war atemberaubend. Und die Zeiten, als die anderen gedacht hatten, er hätte die Kontrolle verloren? Sie hatten keine Ahnung, dass er sich noch immer halbwegs unter Kontrolle hatte, dass er sich nicht wirklich in ein Meer aus Gefühlen gestürzt hatte. Es gab keine wirkliche Befreiung für ihn, und er glaubte auch nicht, dass es jemals eine Befreiung geben würde. Trotzdem hatte dieser teilweise Kontrollverlust zu ein paar extremen und verletzenden Szenen geführt. Er konnte sich ausmalen, wozu er fähig wäre, wenn er seinen inneren Gleichmut völlig verlor. Er war dem schon sehr nahegekommen, bevor Kestra aufgetaucht war, bevor er sie endlich berühren konnte.
Was würde geschehen, wenn jemand, der so unerfahren und arglos war wie Kestra, aus Versehen in diesen Gemütszustand geriet? Ohne Erfahrung und ohne Fundament? Natürlich, an Samhain waren sie wahrscheinlich woanders, die Feiertage enthoben
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