Schattenwandler 05. Noah
die Fähigkeit hatten, mit der Dunkelheit zu verschmelzen und den Verstand von Passanten zu vernebeln, wusste Cygnus, dass Schattenwandler noch andere Fähigkeiten besaßen, Kräfte, die sie nicht zeigten. Er wusste darum, weil er sie gesehen hatte.
Es war vor ungefähr einem Jahrhundert gewesen. Es lag eine gewisse Ironie darin, dass er damals mit Damien auf die Jagd gegangen war. Auf die Jagd nach Schattenwandlern. Eine kleine Truppe, der es Spaß machte, an den Grenzen eines ihrer Territorien den Vampiren Ärger zu machen. Diese kleine Truppe war so unvernünftig gewesen, sich auf Damiens Jagdrevier vorzuwagen. Die Schattenwandler ärgerten jeden Vampir, dem sie dort begegneten, und vertrieben seine Beute, indem sie diese erschreckten oder Poltergeisttricks zum Einsatz brachten.
Schattenwandler spielten auch mit Menschen. Auch wenn sie kein Blut tranken, schätzte Damien die übel zugerichteten Überreste nicht, die der marodierende Haufen hinterließ, sodass die Autoritäten Fragen stellten, und das erschwerte Damien die Jagd und machte es für die Schattenbewohner allgemein schwierig, unbemerkt zu bleiben. Zum Glück hatten die Menschen die Angewohnheit, Gründe zu finden, wenn sie sich etwas nicht erklären konnten, und Damien hatte die Truppe schnell aufgespürt und ihnen eine Abreibung verpasst, die sich gewaschen hatte. Doch bevor das geschehen war, hatte Cygnus eine Streunerin verfolgt, eine Schattenwandlerin, die sich irgendwie von der Gruppe getrennt hatte. Er hatte sie genauso gejagt wie diesen Schattenwandler hier. Nur hatte sie ihm damals, als er sie aufgespürt hatte, direkt in die Seele geblickt und irgendetwas in ihm verändert. Er hatte drei Tage gebraucht, bis er wieder bei Sinnen war. Drei Tage, bis ihm wieder einfiel, was geschehen war. Er hatte Damien nie erzählt, was ihm widerfahren war, weil er hoffte, dass ihm die Sache eines Tages nützlich sein könnte. Er hatte nicht damit gerechnet, dass er recht behalten würde. Er war sehr neugierig auf das, was er bekommen würde, wenn er dem jungen Schattenwandler diese neue Eigenschaft stehlen würde.
Cygnus hielt plötzlich inne, als seine Sinne in der Nähe eines Backsteingebäudes Alarm schlugen. Er wusste nicht, ob der Schattenwandler sich dort aufhielt, doch der Trick bestand darin, ihn aus dem übrigen Schatten herauszulösen.
Banda hielt den Atem an. Er schaffte das bis zu sechs Minuten lang. Doch er würde ausatmen, und immer wenn der Vampir außer Hörweite vorbeiging, wieder einatmen. Was nicht oft geschah, weil der Vampir sehr gut hören konnte. Dann holten die anderen ihren Anführer ein, und seine Lage spitzte sich zu. Bandas Chancen sanken, je näher sie kamen. Sie konzentrierten sich auf das Gebäude, in dessen Schatten er sich verbarg, also wussten sie, dass er in der Nähe war. Alles, was er tun musste, war, seine Konzentration aufrechtzuerhalten, bis sie die Verfolgung aufgaben. Doch das bezweifelte er. Vampire waren hartnäckig und als Jäger sehr geduldig.
Der Anführer ging zum vierten Mal an Banda vorbei, und der Schattenwandler konnte seine Angst nur mühsam bezwingen. Er versuchte seine Tarnung beizubehalten. Versuchte sich mit aller Macht zu konzentrieren. Plötzlich wirbelte der Vampir zu ihm herum, griff mit blanken Klauen ins Nichts und erwischte Banda im Gesicht. Als Banda aus der Dunkelheit taumelte, spürte er, wie die Krallen fünf Löcher in seine Wangen und in seine Stirn stachen. Der Vampir wiederholte die Geste und fügte ihm fünf weitere Löcher zu. Er zog den strampelnden Schattenwandler hoch, lachte und brachte seine Anhänger ebenfalls zum Lachen.
Der Vampir riss Bandas Kopf mit roher Gewalt zurück und enthauptete den zartgliedrigen Jungen beinahe. Banda gab einen erstickten Laut des Protestes oder der Angst von sich und spürte erneut das Brennen der reißenden Krallen, als ihm der Vampir den Hemdkragen von den Schultern riss. Die Hand des Anführers hinderte ihn daran, laut aufzuschreien, und zwang ihn, erneut den Atem anzuhalten. Er spürte eine kalte, schleimige Zunge und einen heißen, nicht lebensnotwendigen Atem über seinen Hals streichen, und er wand sich angeekelt. Plötzlich hielt die Zunge inne und war nicht mehr zu spüren, und Banda konnte seinen eigenen Herzschlag hören, während Furcht ihn durchpulste.
Cygnus wich zurück und schlug dann zu, so schnell wie eine Schlange, nur dass er nicht zwei Löcher bohrte und sich dann wieder zurückzog, um von dem Blut zu trinken, wie es die
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