Schattenwende
tags zuvor gemacht hatte. Schließlich besaß auch sie Stolz und Würde und ließ sich von ihm nicht gnadenlos herumschubsen, selbst wenn sie viel mehr mit sich machen ließ als die anderen Frauen, die er kannte. Ihm war erst bewusst geworden, wie tief er unter die Gürtellinie gegriffen hatte, als er ihr geschocktes Gesicht gesehen hatte. Sie war totenblass geworden und zurückgetaumelt. In diesem Augenblick hätte er sich am liebsten selbst eine UV-Knarre an den Kopf gehalten.
Er hatte sich so hilflos gefühlt.
Die schlichte Eifersucht auf ihre Nähe zu Cayden hatte ihn rasend gemacht hatte. Er hatte gesehen, wie vertraut sie nun mit seinem blonden Bruder umging. Verdammt, er hatte derjenige sein wollen, mit dem sie diese Erfahrung zum ersten Mal machen sollte. Er hatte ihr nahe sein wollen. Und doch hatte er Cayden vorgeschickt, weil ihm diese Sehnsucht nicht in den Kram passte.
„Also, was gibt es?“ Er verfluchte die Heiserkeit, die seine Stimme beim Sprechen belegte.
Sie schlug die Augen nieder und nestelte nervös an dem dünnen Band, das ihren Morgenmantel zusammenhielt. Er ballte seine Hände zu Fäusten, um den Impuls zu unterdrücken, auf sie zuzustürzen und das zarte Kleidungsstück entzwei zu reißen.
„Ich wollte dir mitteilen, dass ich nach Hause zurückkehre, wenn der Einsatz heute Abend gut verläuft. Dann gibt es nichts mehr, womit ich euch noch helfen könnte. Im Gegenteil. Ich wäre euch weiterhin eine Last.“
Ihre Finger hielten in ihrem unruhigen Spiel inne. Er musste mehrmals schlucken, ehe er zu einer Antwort ansetzen konnte.
„Unsere Pflicht ist danach noch lange nicht beendet, Daphne. Wir werden die Staaten verlassen und nach England fliegen. Dort gibt es zwei Mitglieder eines zerstört geglaubten Ordens, der die gleiche Aufgabe hat wie unsere Gemeinschaft. Wir werden uns mit ihnen verbünden. Du und Ria, ihr könntet mitkommen.“
„Als Klotz am Bein?“ Sie lachte so bitter auf, dass es ihm wehtat.
„Daphne, es tut mir leid, was ich gestern gesagt habe.“
Sie erstarrte, als er sich näherte und vor ihr auf die Knie ging, bis sie auf gleicher Augenhöhe waren.
„Es war falsch und es war gelogen“, fügte er ruhig hinzu.
„Ja?“ Ihre Stimme zitterte. „Und warum hast du es dann gesagt, wenn nicht aus dem Grund, dass du mich loswerden willst? Du tust das immer. Du versuchst mich zu verletzen und dann entschuldigst du dich. Wie lange soll das noch so gehen?“
„Darauf kann ich dir keine Antwort geben“, wich er aus und nahm stattdessen ihre Hände in seine.
Sie waren kalt, ganz kalt, und so unglaublich zerbrechlich.
„Natürlich nicht“, stimmte sie ihm zu, auch wenn ihm die beißende Ironie in ihrer Stimme nicht entging. „Du kannst nie irgendetwas sagen. Verrate bloß nichts über dich, halte alles geheim – und wenn du jemanden magst, verletz’ ihn einfach, damit du wieder deine Ruhe hast, richtig?“
Der Vampirkrieger ließ ihre Hände los.
„Vielleicht hast du in deiner Einschätzung sogar Recht, Daphne. Aber ich kann es mir nicht leisten, mich ablenken zu lassen. Dafür trage ich eine zu große Verantwortung.“
„Ablenken?“, wiederholte sie ungläubig und schüttelte so heftig den Kopf, dass ihre Locken wirr durch die Luft flogen und ihm ihr süßer Duft in die Nase stieg.
„Wann bitte lenke ich dich ab? In den Momenten, in denen du mich zusammenstauchst? Oder eher dann, wenn ich dir aus dem Weg gehe, um deiner schlechten Laune zu entgehen? Oder doch eher dann, wenn …“ Sie brach ab. Er spürte ihre Resignation. Sie schlug wie eine mannshohe Welle über ihm zusammen und ließ ihn in seinem schlechten Gewissen ertrinken.
„Hör zu …“ Sie raffte ihren Morgenmantel und zog ihn fester um ihren schlanken Körper, ehe sie Anstalten machte, aufzustehen. „Es bringt nichts. Ich dachte, wir könnten uns wie zwei vernünftige Menschen … Vampire … was auch immer, unterhalten. Aber irgendwie funktioniert das nicht. Wenn ich für euren Einsatz etwas tun kann, sag mir einfach Bescheid.“
Reagan traf die Erkenntnis eiskalt wie ein Messerstich, dass er sie für immer verlieren würde, wenn er sie jetzt gehen ließ.
„Nein. Warte“, murmelte er. Sie versteifte sich, als er sich nach vorne lehnte und geschmeidig neben sie auf die Couch glitt. Ihre Reaktion, an den Rand des Möbelstücks zu rutschen, entging ihm nicht und versetzte ihm einen weiteren brennenden Stich. Trotzdem schlang er den Arm um ihre Taille und zog sie zurück, zu sich.
Weitere Kostenlose Bücher