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Schattenwende

Schattenwende

Titel: Schattenwende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Seck
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verzogen, das zwei lange, rot beschmierte Fangzähne preisgab.
    Es war zu einer Salzsäule erstarrt, obwohl sein Inneres vor Angst laut aufschrie und wegrennen wollte. Doch es konnte seine Mama nicht alleine lassen. Es war ein tapferes, kleines Mädchen. Und plötzlich waren sie fort gewesen, alle drei. Zurückgeblieben war ein eisiger Luftzug, der durch die Tür wehte und seinem dürftig bekleideten, kleinen Körper jegliche Wärme entzog.
    Es war allein. Es rollte sich fester zusammen, schlang die Arme um seine angezogenen Beine und betete zu Gott. Seine Mama hatte es gelehrt, an Gott und seine Barmherzigkeit zu glauben. Es hatte ihren Worten Glauben geschenkt. Seine Mama log nie. Niemals. Aber das kleine Mädchen verstand nicht, wie Gott diese Grausamkeiten zulassen konnte.
    Und während es darauf wartete, seine Mama zu begleiten, schwor es sich, es Gott heimzuzahlen.
    Als Ria erwachte, liefen Tränen ihre Wangen hinab und versickerten im Stoff ihres Pullovers. Sie wusste nicht, wer das kleine Mädchen war. Aber sie fühlte mir ihr.
    Reagan ließ die schlafende Daphne sachte auf sein schwarzes Ledersofa gleiten. Wie sie so da lag, friedlich, unschuldig und wunderschön, die Haare auf den Kissen des Sofas ausgebreitet, hatte er den Eindruck, dass sie genau da war, wo sie hingehörte. In seinem Reich.
    Er kniete sich neben sie, ließ seine Fingerspitzen über die weiche Haut ihrer Wange streichen. Fuhr ihre Gesichtszüge nach, die Linie ihrer Lippen, ihren Hals hinab. Verweilte auf ihrem lebendig schlagenden Puls. Vergrub seine Nase in ihren Locken und atmete ihren süßen Duft tief ein. Es vergingen Sekunden, Minuten, ehe er sich dazu zwingen konnte, sich von ihr zu lösen.
    Es war Zeit, sie aufzuwecken, statt ihre Hilflosigkeit auszunutzen. Er berührte ihre Stirn, schickte ihr einen sanften, aber bestimmten Befehl durch ihre geistigen Kanäle.
    „Wach auf.“
    Daphne stöhnte leise, ein Laut, der ihm durch Mark und Bein ging. Er presste die Kiefer zusammen, zog sich einige Schritte zurück und beobachtete, wie sie ihre Augen öffnete, mehrmals blinzelte, versuchte, sich zu orientieren. Sie drehte den Kopf und schaute ihm direkt ins Gesicht.
    „Ich bin bei dir zuhause, richtig?“
    Er lächelte freudlos.
    „Was für eine seltsame Frage. Aber ja, du bist bei mir.“
    Sie ließ ihren Kopf zurück in die Kissen fallen.
    „Ich frage nie das, was man von mir erwartet.“
    „Nein“, dachte Reagan. „Das tust du leider nicht.“
    „Und du bist nicht wütend, dass ich dich einfach hergebracht habe?“
    Daphne lachte. Ein Lachen, das ihre Augen nicht erreichte.
    „Ich sollte wütend sein, ja. Aber weißt du, was die Ironie an der Sache ist?“
    Ihr Gesichtsausdruck wurde traurig, so unendlich traurig, dass es Reagan einen heftigen Stich versetzte.
    „Sag.“
    Sie richtete sich auf, fuhr sich durch die Haare und starrte in die entgegengesetzte Ecke des Zimmers. Weit weg von ihm.
    „Du versprichst mir, dass ich dir vertrauen kann. Verführst mich dazu, dir Dinge zu erzählen, die ich noch nie in meinem ganzen Leben ausgesprochen, ja nicht einmal zu denken gewagt habe. Ich schütte dir mein Herz aus, sage dir, wie schlimm es für mich war, dass andere Menschen versucht haben, mein Leben für mich in die Hand zu nehmen und darüber zu entscheiden. Und du … du bist auch nicht besser als all die anderen.“
    Scheiße. Daran hatte er nicht gedacht. Sie kannte den Grund nicht, warum sie so unbedingt mit ihm kommen musste. Für sie musste es wie eine Entführung aussehen. Als wäre ihm ihr Wille vollkommen egal.
    „Daphne“, begann er und trat auf sie zu, aber sie sprang auf die Beine und wich vor ihm zurück.
    „Nein“, entgegnete sie bestimmt. „Geh weg von mir. Ich will nach Hause. Jetzt.“
    „Du kannst jetzt nicht einfach …“
    „Doch“, unterbrach sie ihn. „Weißt du was? Lass uns das ganze Gequatsche von übersinnlichen Fähigkeiten vergessen, okay? Ich will einfach nur nach Hause.“
    „Aber Daphne …“ Er näherte sich ihr stetig, drängte sie in eine Ecke, ohne dass sie es bemerkte. „Du hast doch kein Zuhause.“
    Sie zuckte zusammen unter diesem Schlag, starrte ihn mit solch riesigen, schmerzerfüllten Augen an, dass er sich fast schon schämte, so tief unter die Gürtellinie geschlagen zu haben.
    Vorsichtig streckte er die Arme aus, als sie mit dem Rücken an die Wand stieß und ein ängstlicher Laut ihren Lippen entwich.
    Sein breiter Körper schnitt ihr jeden Fluchtweg ab, also

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