Schattenwende
wieder, die kalte Mauer scheuerte an seinem breiten Rücken. Seine Füße fanden keinen Halt. Baumelten in der Luft. Ein unbarmherziger Griff umklammerte seine Kehle, drückte ihm die Luftröhre zu, hielt ihn ein weites Stück über dem Erdboden in die Luft. Seine Augen quollen hervor, er rang vergeblich nach Luft.
Sein Gesicht wurde rot vor Anstrengung, als er versuchte sich zu wehren. Er schlug um sich. Trat aus. Egal was er tat, er traf den Mann nicht, der ihn mit unheimlicher Ruhe betrachtete. Der sich nun zu ihm beugte.
„Sieh einer an. Da will man mal in Ruhe essen und da rennt mir ein dreckiger Solem über den Weg, um mir den Appetit zu verderben“, gurrte er.
„Wunderbar. Wunderbar. Weißt du, im Moment seid ihr etwas rar. Ist schon blöd, wenn man gegen solche Feiglinge kämpfen soll. Versteckt euch immer in euren Rattenlöchern. Ätzend.“
Mit der freien Hand fuhr sich der Vampir bedauernd durch seine blonden, perfekt sitzenden Haare.
Lex wollte etwas erwidern, wollte seinem Ekel Ausdruck verleihen. Er wollte doch derjenige sein, der der Stärkere von ihnen beiden war. Nun aber zappelte er ohnmächtig im Griff des anderen wie eine Fliege im Netz der Spinne.
Mit einem Mal ließ der Vampir Lex los. Er fiel zu Boden, schlug hart auf dem Pflaster auf und hielt seinen schmerzenden Hals mit den Händen umklammert.
„Vampir“, krächzte er. „… hab dich gefunden. Gerochen.“
Seine Stimme verlor sich, schmerzte doch jedes Wort aus seiner wunden Kehle.
Der Mann griente.
Er kniete sich vor ihn, schnupperte prüfend, schüttelte seufzend den Kopf.
„Tut mir leid, Kumpel. Riechst nicht besonders lecker. Also bleibt dir ein schneller Tod leider verwehrt.“
Der spöttische Tonfall schlug plötzlich um, wurde eiskalt und berechnend.
„Ich würde dir zu gerne meine Brüder vorstellen. Die werden sicher erfreut sein, dich kennen zu lernen, Mensch.“
Lex sah die Faust auf sich zu schnellen, ehe die Wucht des Schlages ihn in die Nebel der Bewusstlosigkeit schickte.
„Gerochen“, wiederholte Cayden belustigt.
„Seit wann können Menschen Vampire riechen?“
Daphne schlief.
Reagan steuerte den Lamborghini durch den fließenden Verkehr. Er hatte den Wagen vorsorglich in einer Seitenstraße in der Nähe des Restaurants geparkt – für den Fall, dass sie die Gegend schnell würden verlassen müssen. Doch nun meldete sich sein schlechtes Gewissen. Er hätte sie ohne ihre Einwilligung nie in den künstlichen Schlaf versetzen dürfen. Aber er wusste genau, dass sie sonst nicht mit ihm gekommen wäre. Sie hätte keinen Fuß in sein Auto gesetzt. Er konnte das nachvollziehen. Er hatte sich benommen wie der letzte Idiot, als er sich so plötzlich auf sie gestürzt und sie aus dem Restaurant gezerrt hatte. Aber wie sollte sie auch die Eile verstehen, wenn sie die ganze Wahrheit nicht kannte? Wohl oder übel würde sie diese nun erfahren müssen. Ja, er hatte sich fest vorgenommen, ihr jetzt alles über die Existenz der Vampire zu erzählen. Sie war eine Liyanerin und hatte ein Recht darauf, die volle Wahrheit zu erfahren. Sie war stark, stärker als sie glaubte, sie würde diese Wahrheit verkraften.
Er trat die Kupplung und legte einen höheren Gang ein. Die Nachtlichter der Straßenlaternen zogen an ihm vorbei, flimmernd wie tanzende Punkte, so schnell fuhr er. Die Häuser flogen an ihm vorbei. Bis zum Anwesen der Gemeinschaft war es nicht weit und zu Daphnes eigenem Schutz war es vorerst besser, wenn sie den Weg dorthin nicht kannte.
Er warf einen schnellen Blick zur Seite, registrierte ihre flatternden Augenlider und ihre sich in einem raschen Rhythmus hebende Brust. Selbst im Schlaf war sie rastlos. Es wurde in der Tat höchste Zeit zu handeln.
Der Vampir bog in die Einfahrt seines Hauses ein und passierte das gesicherte Tor. Er machte sich nicht einmal die Mühe, den Sportwagen in der Garage zu parken, sondern blieb direkt vor der Haustür stehen. In Sekundenbruchteilen war er ausgestiegen, hatte den Wagen umrundet und öffnete die Beifahrertür. Einen Arm schob er unter Daphnes Kniekehlen, mit dem anderen stützte er ihren Rücken und hob sie mühelos hoch. Er spürte das Gewicht kaum, das er auf den Armen hielt, als er die Stufen zum Eingang hinaufstieg und ihn durchquerte.
Im Inneren des Hauses war es dunkel, weder Lampen noch Kerzen brannten. Fast vollkommene Finsternis. Lediglich ein Lichtschimmer drang unter dem Schlitz der Tür hervor, die zum unterirdischen Teil des Gebäudes führte.
Weitere Kostenlose Bücher