Schattenwende
sich nun eine menschliche Gefährtin nehmen, würde es nur einen einseitigen Energiefluss geben. Menschen haben zu wenig mentale Fähigkeiten, um einen Vampir damit am Leben zu erhalten. Er würde dahinsiechen und irgendwann sterben, egal, wie viel Blut er trinken würde. Der Mensch hingegen würde sich eines blühenden Lebens erfreuen können, bis hin zum Tode des Vampirs, denn die Energie würde den Menschen jung halten. Es ist grausam, Daphne.“ Ria schüttelte den Kopf. „Deswegen kann es keine Liebe zwischen Vampir und Mensch geben und sie bleiben sich auf ewig so fremd wie jetzt.“
Rias Augen waren vor Traurigkeit dunkel verhangen und blickten nachdenklich aus dem Fenster.
„Die einzige Ausnahme sind Männer und Frauen wie du und ich. Wir sind das schmale Bändchen, das Vampir und Mensch miteinander verbindet. Durch das Symbol, das unsere Augen kennzeichnet, sind wir nicht so schwach wie normale Menschen. Wir haben eine starke Energiequelle in uns. Wir haben mentale Fähigkeiten. Die äußern sich –wie bei Vampiren – auf ganz unterschiedliche Art. Ich sehe Dinge, die in der Zukunft passieren können. Du bist … du bist Empathin, oder?“
„Ja“, antwortete Daphne leise. „Ja, das bin ich.“
Ria deutete ein zurückhaltendes Lächeln an.
„Das ist eine wunderbare Gabe, Daphne. Ich bin mir sicher, du wirst sie noch zu schätzen lernen.“
Daphnes Miene verfinsterte sich und sie drehte den Kopf weg, während sie sich von ihrem Platz erhob.
„Wenn ich an irgendetwas glauben würde, würde ich darum beten, dass du Recht hast.“
Sie rückte den Stuhl, auf dem sie gesessen hatte, gerade und nickte der Rothaarigen vorsichtig zu.
„Ich danke dir dafür, dass du dir die Mühe gemacht hast, mir all das zu erzählen. Ich denke, jetzt sehe ich vieles deutlicher, auch wenn mir das ein oder andere noch nicht ganz nachvollziehbar erscheint. Aber darüber werde ich zuhause noch einmal nachdenken.“
Ria stand ebenfalls auf und schloss die überraschte Daphne in die Arme. Ihr frischer Duft hüllte sie beruhigend ein und für einen winzigen Augenblick erwiderte sie die Umarmung.
„Ich hoffe sehr, dass wir uns bald wiedersehen, Daphne. Komm gut nach Hause.“
Der eisige Luftzug, den Daphne plötzlich auf ihrer Haut verspürte, kündigte das Unheil schon an, bevor es ausgesprochen wurde.
„Sie geht nirgendwohin.“
Finster und abweisend stand der Vampiranführer im Türrahmen, den er mit seiner massigen Gestalt beinahe vollständig ausfüllte.
„Ich glaub, ich hab mich verhört, Ria. Du kannst sie doch nicht einfach laufen lassen. Jedenfalls nicht, während sie bei vollem Bewusstsein ist. Oder willst du dich demnächst an die Solems ausgeliefert wissen?“
Seine Stimme senkte sich, wurde bedrohlich leise. Seine Halsschlagader trat deutlich hervor und die Schnelligkeit, mit der sie raste, war beunruhigend.
„Was soll das, Reagan?“, erwiderte Ria scharf. „Du glaubst doch nicht im Ernst, dass Daphne uns verraten würde, oder?“
Reagan lachte hart auf. Ein Lachen, dass Daphne einen Schauer über den Rücken jagte.
„Es tut nichts zur Sache, was du oder ich oder sonst jemand glaubt. Es besteht ein immenses Risiko, wenn sie unseren Aufenthaltsort kennt, und dieses Risiko werde ich für die Sicherheit meiner Rasse nicht eingehen. Gerade dir sollte etwas daran liegen.“
Reagan ignorierte Daphne, tat so als wäre sie unsichtbar. Eine unwillkürliche Wut stieg in ihr auf, brachte ihre Augen zum Funkeln. Was bildete der Kerl sich eigentlich ein? Verhielt sich erst wie der Frauenversteher schlechthin, um sie gefügig zu machen, und behandelte sie nun wie den allerletzten Dreck. Ehe Ria den Mund öffnen und etwas entgegnen konnte, machte Daphne einen Schritt auf ihn zu.
„Hör auf so über mich zu reden, wenn ich im gleichen Raum bin“, sprach sie gedämpft, obwohl ihre Stimme vor unterdrücktem Ärger vibrierte.
Sein Blick war unnahbar und kalt, und der Anflug von Mut, der sie gerade noch gestärkt hatte, verflog augenblicklich.
Zurück blieb beißende Enttäuschung.
„Ich will nach Hause“, flüsterte sie.
Reagan nickte, desinteressiert und mit den Gedanken weit weg.
„Cayden wird dich fahren. Bei Sonnenuntergang.“
Es war gerade mal frühmorgens.
„Nein, Reagan.“
Daphne presste seinen Namen mit viel Anstrengung heraus.
„Ich muss sofort nach Hause.“ Siedendheiß fiel ihr ein, dass sie wahrscheinlich längst hätte bei der Arbeit sein müssen.
„Ich muss zur Arbeit!“
Er
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