Schattenwende
klang nachdrücklich.
„Ich zweifle auch in keiner Weise an Ihrem Urteilsvermögen“, beeilte er sich zu sagen und fuhr sich über seinen kahlen Kopf, auf dem sich hektische rote Flecken gebildet hatten.
„Ich frage mich lediglich, inwiefern sich das beispielsweise im Verhalten widerspiegelt?“, fügte er hinzu.
„Ich kann Ihnen gerne sagen, inwiefern sich das widerspiegelt. Diese Blutsauger haben überhaupt keinen Respekt vor der Menschheit, die in mühsamer Arbeit alles aufgebaut hat, was sie jetzt besitzt. Alles, was sich auf dieser Erde befindet, ist von Menschenhand gebaut und von unserem Wissen geschaffen worden. Sie, die Blutsauger, haben keinen Anteil daran und doch wandeln sie mit einer Selbstverständlichkeit durch unsere Straßen, als sei alles ihr Verdienst. Ich weiß nicht, wo sie herkommen und wie sie entstanden sind, Fakt ist aber, dass an ihnen etwas faul ist, und sie haben daher kein Recht, uns den Platz streitig zu machen, den wir uns verdient haben.“
„Wollen sie das denn?“, hakte der Professor vorsichtig nach.
„Offenbar schon. Sie leben im Untergrund, dort hausen sie und zerstören alles, was sie zwischen die Finger kriegen. Ich weiß, was sie anrichten können, Mr. Smith. Ich kenne ihren Blutrausch, in den sie verfallen, wenn sie Hunger haben. Sie schnappen sich den erstbesten Menschen und saugen ihn ohne Gnade, ohne Mitgefühl aus, als sei er eine wertlose Ameise. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie diese Monster wüten. Gesehen, wie sie eine unschuldige Frau umgebracht haben.“ Plötzlich brach ihre Stimme und sie verstummte.
Smith ließ sich gegen die Lehne sinken und starrte das Telefon an.
Ein langer Piepton erfüllte den Raum.
Mrs. Seeberg hatte aufgelegt. Doch Smith war es nicht verborgen geblieben, wie sich ihre sonst so beherrschte Stimme verändert hatte. Wut, Trauer und ein Anflug von Hass hatten sie bewegt und dazu verführt, mehr von ihrem Inneren preiszugeben als es in dieser Firma üblich war.
Smith kümmerte das nicht. Er hatte die Antworten, die er sich erhofft hatte. Und nach diesem seltsamen Ende des Telefonts glaubte er nicht, dass sie sein ungewöhnliches Interesse an der Gesinnung der Vampire melden würde.
Smith zupfte am obersten Verschluss seines Kittels, obwohl seine Finger zu stark zitterten, um den runden, schmucklosen Knopf in das Loch zu schieben. Verärgert ließ er seinen Kugelschreiber in die Brusttasche gleiten und klemmte sich seine Unterlagen unter den Arm. Seine Stirn glänzte im schwachen, grünlichen Licht der Notleuchte.
Es war bereits spät abends und der Wissenschaftler war, wie in den vielen vergangenen Tagen auch, über seine eigentliche Arbeitszeit hinaus geblieben und brütete über den neuesten Untersuchungsergebnissen. Er hatte keine Ruhe finden können. Seine Konzentration war dahin und er hatte lange auf den tickenden Sekundenzeiger seiner alten Wanduhr gestarrt, ehe er sich zu dem Entschluss durchgerungen hatte, über den er seit dem Telefonat mit Dr. Niamh Seeberg nachgedacht hatte.
Wenn seine Fingernägel noch lang genug wären, hätte er nun mit Freuden die Gelegenheit ergriffen, auf ihnen herumzukauen. Ja, er war irgendwie nervös.
Die letzte Stunde hatte er nur tatenlos auf seinem abgewetzten Bürostuhl gesessen und gewartet, bis der kleine Zeiger endlich auf die Acht springen würde. Um diese Uhrzeit war in der Regel jeder Mitarbeiter aus dem Haus und ihm war endlich seine langersehnte Ruhe vergönnt. Heute aber kam ihm die Stille des leeren, mehrstöckigen Gebäudes gespenstisch vor. Dies lag sicher nicht zuletzt daran, dass er einen Plan hatte, der ihn selbst in Angst und Schrecken versetzte. Und daran war nicht nur das Foto seiner Mutter mit ihrem anklagenden Blick Schuld.
Ächzend erhob sich der füllige Mann aus dem knarrenden Stuhl, der wie zur Befreiung quietschte, als das Gewicht des Laboranten gänzlich von ihm genommen war.
Smith murmelte leicht vor sich hin, als er das Klemmbrett mit den Unterlagen unter seinem Arm so fest ergriff, dass seine Knöchel weiß durch die Haut stachen.
Mit dem Fuß drückte er seine Bürotür auf und spähte in den Gang, aus dem ihm nichts als grünes Licht entgegen brannte. Keine Menschenseele war zu sehen.
Es war totenstill. Nur sein Herz schlug so laut, dass man es durch ganz L.A. hören musste. So kam es ihm zumindest vor. Selbst das stete Blubbern aus dem Labor war verstummt. Er war allein hier oben.
„Mach schon, Robert“, ermutigte er sich selbst in einem
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