Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenwesen

Schattenwesen

Titel: Schattenwesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rauchhaus
Vom Netzwerk:
mich das erschütterte?

    In meinem Zimmer hatte ich das Gefühl, zu ersticken. Der Raum war viel zu klein für meine Gedanken. Sie rasten im Kreis wie in einer Spirale, die immer weiter wurde. Auch als ich das Fenster aufriss, half das nichts. Ich sah die Burgmauer vor mir, auf der ich eben noch gesessen hatte.
    Verdammt, Paps! Warum durfte ich nicht wissen, was du irgendeinem x-beliebigen Auftraggeber schon nach einem Glas Wein erzählt hast?
    Ganz automatisch zog ich die schwere Reisetasche neben mich aufs Bett und tastete nach den Notizbüchern. In den letzten Wochen hatte ich sie immer mal wieder gelesen, um die Aufträge für Paps erledigen zu können, die er nicht mehr schaffte. Aber es gab auch neue Kladden, die alle in der Zeit entstanden waren, in der sich mein Vater von mir entfernte. Vier Stück, wie ich jetzt feststellte. Und keine davon hatte ich je anfassen wollen. Weil ich glaubte, dass er sie in einer Umnachtung geschrieben hatte, von der ich nichts wissen wollte. In der Angst, ich könnte mich durch diese Zeilen Stück für Stück von mir selbst entfernen, wie auf einem Weg, der in die Dunkelheit führte. Oder hatte Herr Nachtmann recht und sie führten mich zu meinem Vater?
    Ich biss mir auf die Lippen und legte das erste Buch gegen meine Stirn, als könnte ich mich dahinter verstecken. Aber dann nahm ich es in die Hand und begann zu lesen. Der Stil war anders, als ich ihn kannte. Es war eher ein Tagebuch. Der sonst so präzise und sachliche Laurin Tressler fand hier Worte, die nichts mit Sachlichkeit zu tun hatten – voller Gefühl und Sehnsucht. Eine ganz neue Seite von ihm, die dennoch zu ihm passte.

    Restaurieren bedeutet Demut – vor anderen Künstlern, ihren Materialien und ihren Ideen. Und sosehr ich meinen Beruf liebe, so sehr möchte ich etwas schaffen, das ein Teil von mir ist. Mit der Malerei wird mir das nie gelingen, so ehrlich bin ich. Mit meiner Tochter ist mir das gelungen. Obwohl sie mehr ist als nurein Teil von mir, das muss ich zugeben, jetzt, da sie erwachsen wird. Besonders ihre Neugier und ihr Mut – beides Dinge, die sie nicht von mir hat – machen mich sehr stolz. Und vielleicht geben diese Eigenschaften auch mir endlich den Mut, einem alten Traum hinterherzujagen: dem schwärzesten Schwarz.

    Die Tränen liefen schon, bevor ich die Taschentücher finden konnte. Du verschlossener Dummkopf! Warum hast du mir nie gesagt, dass du stolz auf mich bist?

    In alten Legenden heißt es, im tiefsten Schwarz läge der Eingang zum Totenreich. In anderen Geschichten führt es zu unendlichem Wissen und Macht und daran glaube ich: Aus der Sicht der Wissenschaft würde es eine enorme Weiterentwicklung in der Optik bedeuten. Wäre es nicht unglaublich, wenn Weltraumteleskope durch mein Schwarz verbessert werden könnten? Wenn ein Teil von mir durchs All fliegen würde?

    Danach folgten endlose Materiallisten, Versuchserklärungen und Aufzeichnungen seiner Misserfolge. Da ich nicht viel davon verstand, blätterte ich durch die anderen Notizbücher bis zum letzten, wo ich das richtige Versuchsprotokoll zu finden hoffte. Aber so etwas gab es nicht. Das letzte Notizbuch bestand wieder aus Tagebuchnotizen, die mich erschreckten: Die Handschrift meines Vaters war nicht wiederzuerkennen. Alles sah aus wie in Eile hingekrakelt, leicht verschmiert, manchmal fehlten sogar Wörter. Auf den ersten Blick konnte ich die Panik zwischen den Zeilen lesen.
    Mein Atem ging schneller. Dafür war ich heute Abend nicht bereit! Vielleicht würde ich es nie sein. Ich sprangauf, lehnte mich weit aus dem Fenster und atmete ein, als hätte ich unter Wasser zu lange die Luft angehalten. Der Sauerstoff berauschte mich, machte mich schwindelig und gleichzeitig wacher, als ich es im Moment sein wollte.
    Um mich abzulenken, schaltete ich den Fernseher an. Schon nach wenigen Minuten bemerkte ich, dass ich kein Wort von dem mitbekam, was die Leute da redeten. Ich schaltete um. Aber vor meinem inneren Auge flackerten schwarze Kleckse auf weißen Leinwänden. Meine Gedanken waren meilenweit entfernt und ich ahnte, dass ich die ganze Nacht nicht schlafen würde. Ich beschloss, es mit dem Einzigen zu versuchen, was mich wirklich ablenken konnte: mit Arbeit.
    Hastig warf ich mir meine Strickjacke über, schnappte mir Notizblock, Stift und Digicam und raste die Treppe hinunter in der Hoffnung, dem Fresko sein Geheimnis zu entlocken. Wenn es sich dagegen so wehrte wie bisher, würde mich das ein paar Stunden beschäftigen, bis

Weitere Kostenlose Bücher