Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenwesen

Schattenwesen

Titel: Schattenwesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rauchhaus
Vom Netzwerk:
ihn gefunden haben«, sagte Jessy und stellte sich ihm entgegen, doch er verzog nur spöttisch die Mundwinkel.
    »Dann lasst mich mal mitsuchen, Mädels!«, raunte er.
    Als Nächstes spürte ich einen Arm, der sich bei mir einhakte. Es war die Frau, die mir gerade schon geholfen hatte. Auf der anderen Seite hakte sie Jessy ein und ging mit uns vorwärts. Dem bärtigen Mann blieb nichts anderes übrig, als uns auszuweichen.
    »Mach dich nicht unbeliebt, sonst lassen wir dich als Einzigen zurück«, kicherte die Frau und ging mit uns zur Treppe.
    Die Blicke des Mannes folgten uns und ich war mir fast sicher, dass ich ihm noch einmal begegnen würde.

Jessy
    Jessy wusste, dass die scheue Lara selten andere mit in ihr Zimmer nahm, jetzt jedoch führte sie Kira und sie kommentarlos nach oben. Nicht die erste Überraschung, die Lara heute für sie parat hatte! Sie hatte Stärke bewiesen, zuerst gegenüber dem Schattenwesen, dann gegenüber dem bärtigen Paul. Noch immer leicht euphorisch zog sie die beiden Jüngeren zur Treppe. Kiras Anwesenheit löste wohl nicht nur bei Jessy Hoffnung aus!
    In dem Zimmer im zweiten Stock, abseits von allen anderen, sanken Kira und Jessy gemeinsam auf eine Matratze, während Lara sich in eine Ecke zurückzog. »Ihr könnt gern noch etwas bleiben. Aber schlafen müsst ihr woanders. Ich mag keine Leute, die mir beim Schlafen zusehen!«
    »Nach meinem letzten Erlebnis beim Aufwachen kann ich das durchaus verstehen«, erwiderte Kira mit einem Lächeln.
    Doch Lara reagierte nicht mehr. Sie begann etwas zu murmeln, geistig abwesend.
    Von einer anderen Frau hatte Jessy gehört, dass Lara immer Spielkarten dabeihatte, die sie gern vor sich ausbreitete, um ab und zu auf einzelne Karten zu zeigen und mit ihnen zu sprechen.
    Jessy spürte, dass Kira das Geschehen etwas befremdet beobachtete. Sie hatte vermutlich noch nicht ganz erfasst, wie tief diese Menschen in ihrem Grundvertrauen ins Leben erschüttertworden waren. Lara wirkte oft mehrere Stunden lang vollkommen normal. Doch vermutlich war es genauso normal, wenn jeder in dieser bedrohlichen Umgebung seine persönlichen Fluchtversuche machte. Unsichtbare Freunde, tägliche Rituale oder sinnlose Wutausbrüche.
    »In diesem Zimmer sind wir sicher – zumindest vor Anna«, erklärte Jessy, um Kira zu beruhigen. »Die beiden sind mal aneinandergerasselt, seitdem kommt deine Freundin nicht mehr hoch in den zweiten Stock.«
    »Das mit der Freundin ist so eine Sache«, lachte Kira bitter auf.
    Ihr Ton hatte sich in den letzten Stunden stark verändert, fand Jessy. Anfangs war sie sehr distanziert gewesen, als wolle sie klarstellen, dass sie nicht hierhergehöre. Jetzt lag traurige Verzweiflung in ihrer Stimme, die aber dafür wärmer geworden war. Jessy hatte durchaus begriffen, dass Kira sie anfangs abgelehnt hatte, zusammen mit diesem Gefängnis und seinen Regeln. Und Jessy hatte Kiras absolute Verblüffung amüsiert hingenommen, als eine Gruppe sie beschützte, die sie im Prinzip verachtete. Nun war Kira ein Teil davon; von der Gruppe der »Verlorenen«, wie Jessy sie insgeheim nannte, und von diesem Gefängnis.
    »Wer ist Lara?«, fragte Kira und Jessy fühlte ihr Gespür bestätigt. Noch vor einer Stunde hätte sie das nicht interessiert.
    Da Lara keine Anstalten machte, selbst auf die Frage zu antworten – die sie vermutlich gar nicht gehört hatte –, sagte Jessy: »Lara hat mir am Anfang sehr geholfen. Sie hat mir ein freies Zimmer zum Schlafen gezeigt, das nicht zu weit von der Treppe entfernt liegt. Mehr weiß ich nicht von ihr.«
    Eine Weile schwiegen sie. Dann ertönte ein lautes Knurren, das sogar Lara kurz aufschauen ließ.
    »Mein Magen«, entschuldigte Kira sich.
    Jessy griff unter ihren Pullover. »Als ich mich an dem Servierwagen entlanggetastet habe, ist mir aus Versehen das hier in die Hände geraten.«
    Sie freute sich insgeheim über Kiras Begeisterung, die eilig das Stück Brot und den Apfel entgegennahm.
    »Das glaub ich nicht! Ich selbst vergesse meinen Hunger da unten – und du bringst mir etwas mit! Du bist ein Schatz! Danke!«
    Jessy fand es absolut verständlich, dass Kira der Appetit unter dem Tisch vergangen war. Sie hatte selbst so viel Angst gehabt – wie musste Kira sich da erst gefühlt haben?
    Sie lehnte sich schweigend an die kühle Mauer und wartete, bis Kira fertig war. Dabei spürte sie, wie all ihre Sorgen wieder in ihr hochstiegen. Die Tür, durch die Kira gekommen war, würde wohl endgültig für sie

Weitere Kostenlose Bücher