Schattenwesen
unergründlichen Blick.
»Und ich habe dich für einen geschäftstüchtigen Holzklotz gehalten«, murmelte Cyriel.
»Ich bin geschäftstüchtig!«, protestierte ich. »Ohne mich hätte mein Vater nur gearbeitet, aber keinen Cent dafür bekommen.«
Er lachte leise auf. »Das glaube ich sofort. Du bist sehr … zielstrebig.«
Dann gab er langsam die anderen Chemikalien zu unserer Mixtur hinzu und ich begann wieder zu rühren. Sein Schweigen machte mich wahnsinnig. Zielstrebig?
»Wie meinst du das?«, musste ich einfach fragen.
Cyriel wollte soeben die Säure hinzufügen, aber er zögerte und stellte das Glas schließlich wieder ab.
»Das Fresko …« Er sah mich an. »Du hast seine Geheimnisse bereits entdeckt, als Anna noch auf eine Eingebung wartete, in welchem Jahrhundert das Bild gemalt worden sein könnte. Du hast die Uhr gleich bemerkt, die unser letzter Restaurator als Warnung eingefügt hatte. Da ich die Ärmel darüber nachträglich verlängert habe, fand ich sie eigentlich recht gut versteckt. Außerdem hast du meine Hinweise gefunden und richtig gedeutet. Den Rettich, das Eichhörnchen … und die falschen Schatten.«
»Ist Nachtmann denn nie darübergestolpert?«, fragte ich Cyriel.
»Doch. Aber ich habe ihm erklärt, dass ein Maler solche Symbole immer ins Bild malt, um ein Markenzeichen zu hinterlassen. Der Rettich sei im Familienwappen der de Vries und das Tier sei ein Hinweis auf meine Technik. Weil ich nur Pinsel aus Eichhörnchenhaar benutze.«
»Und das hat er dir geglaubt?«
»Diesen Teil schon. Aber Katharinas kaum vorhandenen Mund hat er mir übel genommen. Er dachte, ich sei schuld, dass sie nicht mehr reden wollte. Sein Wutanfallwar auch der Auslöser dafür, dass er mir den Schatten abschnitt. Erst später stellte er fest, dass Katharinas Schweigen nichts mit mir zu tun hatte.« Er lächelte böse. »Und dass er uns alle nicht kaufen konnte.«
»Kaufen nicht. Aber behalten schon«, wandte ich ein.
Cyriel nahm das Glas Säure in die Hand und wollte es in einem Schwung in den Erlenmeyerkolben schütten. Ich bremste ihn, nahm ihm das Glas aus den zitternden Händen und gab die Säure langsam unter ständigem Rühren hinzu. Schweigen erfüllte die Luft zwischen uns, und als ich ihn ansah, funkelten seine Augen. Diesmal spürte ich, dass er nicht wütend auf mich war.
»Siehst du, das meinte ich mit zielstrebig«, sagte er mit rauer Stimme. »Wenn du die schrecklichen Dinge um dich herum bemerkst, blickst du ihnen entgegen und nimmst sie dir vor, als wären sie Schmutzpartikel auf deinem Fresko.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Dann bin ich also zu sachlich? Würde es helfen, wenn ich kreischend durch die Gänge laufen würde wie die Frauen in den alten Schwarz-Weiß-Filmen?«
Das Funkeln wurde schwächer und schließlich lachte er, alle düsteren Untertöne dabei abwerfend. »Du bist so sachlich wie eine Kletterpflanze.«
Alarmiert sah ich ihn an. »Wie eine Klette meinst du?«
»Nein, du Vertrauensmuffel. Kletterpflanzen nehmen ihre Umgebung hin, wie sie ist – und dennoch verändern sie sie. Hast du die Prunkwinden nicht gesehen, die an den Ruinen der Burg emporwachsen? Sie haben wunderschöne Blüten … wobei ich ihre Farben leider nur erraten kann.«
Schnell wandte ich mein Gesicht wieder dem Glaskolben zu, damit Cyriel nicht bemerkte, dass ich gerade puterrot wurde. So etwas hatte noch nie jemand zu mir gesagt.
»Hellrosa und tiefviolett«, sagte ich leise.
Kira
Während des Abfilterns und Bindens mit Zellulose waren wir beide voll konzentriert und betrachteten angestrengt unser Ergebnis. Die dicke Paste unterschied sich nicht sonderlich von meinem letzten Schwarz. Mein Herz klopfte bis zum Hals, als ich beobachtete, wie Cyriel sie mit einem Pinsel aufnahm, um sie auf eine weiße Leinwand aufzutragen. Kurz davor hielt er inne und wandte sich mir zu.
»Komm! Es steht mir nicht zu, das zu tun.«
Damit reichte er mir den Pinsel. Als ich ihn entgegennahm, berührten sich unsere Finger. In seinem Gesicht konnte ich lesen, wie wichtig ihm dieser Moment war. Und gleichzeitig fand ich Traurigkeit darin. Was mochte ihm durch den Kopf gehen?
Die schwarze Paste ließ sich gut auftragen und das Schwarz schien sehr, sehr dunkel geworden zu sein. Aber noch war es zu feucht, um etwas sagen zu können. Also lehnten wir uns nebeneinander an die Wand. Ich wunderte mich, wie nahe wir uns in der kurzen Zeit gekommen waren, und wie selbstverständlich wollte ich Cyriels Hand nehmen.
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