Schattenwesen
Jolanda.
»War Cyriel dort?«, fragte Ruben ungewohnt nervös.
»Nein, keine Spur von ihm.« Das war wieder Richard.
Erstaunt stellte ich fest, dass Gabriel nicht bei ihnen zu sein schien. Sonst hätte er die Gruppe bestimmtangeführt. Ob er Cyriel irgendwo erwischt hatte? Meine Sorge wurde immer größer.
»Schattenraum«, murmelte Nachtmann abwesend. »Cyriel will ihnen helfen!« Gleichzeitig riss er eine Schublade auf, starrte eine Weile ungerührt hinein und knallte sie mit Schwung wieder zu.
»Das Messer!«, flüsterte er. »Der Verräter!« Plötzlich stand er neben der Tür, schnell und lautlos.
»Ihr bleibt hier und leistet Kira Gesellschaft. Antonia, du wirst dir genau merken, was sie mischt. Ich werde mich inzwischen um unser … Problem kümmern.«
Ruben Nachtmann verschwand durch die Tür wie ein wütender Wind – und mir lief ein kalter Schauer über den Nacken. Die anderen mochten zu gleichgültig gewesen sein, um Cyriel zu finden. Er hingegen hatte die Sinne eines hungrigen Tieres.
Die Schatten nahmen nun wieder menschliche Gestalt an, was ich nicht unbedingt beruhigender fand. Dass sie sich wandeln konnten, wann sie wollten, machte mich verrückt. Mein Herz schlug schneller und meine Hände begannen zu zittern. Konnte das sein? Ich fürchtete um Cyriels Leben genauso wie um meines. Seit seinem letzten Satz am Turmfenster musste ich ständig an ihn denken. Er liebte mich! Hatte er das ernst gemeint? Nachtmann durfte ihn auf keinen Fall finden!
Das Glas, das ich gerade in die Hand genommen hatte, kippte seitlich weg und ich sah es wie in Zeitlupe fallen. Mist! Lila Nebel trat zwischen den Splittern am Boden aus, während die Flüssigkeit schnell verdunstete. Die Schattenfamilie funkelte mich wütend an. Antonia quiekte und raffte schnell ein paar Lappen zusammen.
»Helft mir! Ruben wird rasen vor Wut, wenn sein Labor so aussieht!«
Erstaunlich rasch ließen die anderen sich überzeugen und bückten sich über die Sauerei. Meine Hoffnung, dass die Dämpfe ihnen schaden könnten, hielt sich in Grenzen. Was konnte ihnen überhaupt schaden?
»Und Sie arbeiten weiter!«, ordnete Antonia in einem Befehlston an, der nicht zu ihr passte.
Zurück an der Arbeitsfläche baute ich die Geräte auf, öffnete Schränke und murmelte unzusammenhängendes Zeug, als ob ich ständig etwas suchte. Dabei zog ich immer mal wieder an einer Schublade, hauptsächlich um beschäftigt auszusehen. Noch immer war mein Plan die Verzögerungstaktik, denn wer konnte wissen, wie lange Cyriel brauchte? Falls er überhaupt zurückkehren konnte.
Plötzlich bemerkte ich, dass ich auf eine offene Schublade starrte, in der etwas lag. Meine Gedanken waren bei Cyriel, aber mein Verstand klopfte ständig bei mir an, um mir zu sagen, dass das Ding in der Schublade wichtig war. Es war eine Miniatur, ein winziges Ölgemälde, das eindeutig Ruben Nachtmann darstellte. Schnell nahm ich es heraus und steckte es in meine hintere Jeanstasche. Meine Aufpasser hatten nichts bemerkt, sie waren noch mit der Entsorgung der feinen Splitter beschäftigt. Gut so!
Langsam füllte ich die zerriebenen Kristalle in einen Glaskolben und stellte ihn über den Bunsenbrenner.
»Wie kommt es, dass er das Haus verlassen kann – und Sie nicht?«, fragte ich beiläufig.
Antonias Kopf kam zuerst hinter der Arbeitsfläche hoch. »Sie sollen arbeiten!«, sagte sie ungeduldig.
»Weil er Ihnen sonst die Meinung geigt? Warum kanner sich eigentlich alles leisten? Während Sie hier am Boden herumkrabbeln, damit der Meister kein Stäubchen findet, kann er reisen, andere Leute treffen und seine Freiheit genießen.«
Antonia warf mir einen bösen Blick zu und tauchte wieder nach unten ab.
Dann stand Richard ganz langsam auf. »Es geht im Leben nicht darum, wer der Netteste ist, sondern wer die Macht hat. Früher war ich der Burgherr. Heute ist es Ruben.«
»Weil ein Alchemist stärker ist als sein Herr?«
Er zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich ist er das. Alchemisten haben keine Herren. Nur Geldgeber. Das habe ich zu spät erkannt.«
»Aber wie und um welchen Preis?«, fragte ich weiter. »Schwarze Magie?«
»Ist es wichtig, ob es Magie ist – oder billige Tricks sind? Er hat dafür gesorgt, dass niemand von uns ein weiteres Bild von sich hat. Das Fresko bindet uns an das Haus.«
»Psst!«, fuhr Antonia auf. »Hör auf! Erinnerst du dich, was geschehen ist, als Gabriel mit einem Restaurator über ein Porträt von sich gesprochen hat?«
Ich bemühte
Weitere Kostenlose Bücher