Schatzfinder
Nutzpflanzen anzubauen.« Warum das denn? Sind wir im Krieg und müssen Lebensmittel an der Heimatfront produzieren, oder was? Aber der Kleingärtner, der seine Ruhe haben will, pflanzt dann eben Salat für die Schnecken – damit er seine Ruhe hat.
Und im Gesetz steht: »Ein Kleingarten soll nicht größer als 400 Quadratmeter sein.« Also darf eine Gemeinde keine Kleingartenanlage (KGA) errichten, deren Gärten 600 Quadratmeter haben, obwohl sowohl das Land als auch die Nachfrage vorhanden sind? Warum nicht? Damit unserem Blut nicht so schnell der Boden ausgeht?
Es ist unglaublich, wie in unserem Land auch noch die letzten Fitzelchen Leben verregelt sind. Das Schlimme ist aber gar nicht, dass es diese Vorschriften gibt und dass sie zum Teil aus längst vergangenen Zeitzusammenhängen stammen. Das für mich völlig Unverständliche, das fast schon Grauenerregende ist die Tatsache, dass es so viele Menschen gibt, die all diesen unsinnigen, einschränkenden, dummen Regeln folgen, ohne sie jemals zu hinterfragen. Das deutsche Bundesrecht umfasst ungefähr 2 000 Gesetze und etwa 3 500 Verordnungen mit insgesamt knapp 80 000 Artikeln und Paragrafen. Und dann sind da noch die Gesetzeund Verordnungen der Bundesländer und die EU-Verordnungen. Das für mich Erstaunlichste ist, dass sich die meisten der 80 Millionen Deutschen fast immer und fast überall an all diese Regeln halten oder es zumindest versuchen. Eine bewundernswerte Leistung! Die Kleingärtnerei ist dabei nur einer von vielen Höhepunkten der Subordination.
All die Regeln existieren ja nur allein durch die Tatsache, dass sie befolgt werden. Das Warum vieler dieser Regeln ist schon lange von gestern, und ein Wozu gibt es oft nicht. Franz Kafka hat dieses Phänomen eindrücklich in der 1915 veröffentlichten Türhüterlegende
Vor dem Gesetz
auf den emotionalen Punkt gebracht: In dieser Geschichte möchte »ein Mann vom Lande« Gerechtigkeit. Er will »in das Gesetz« gelangen, wird aber von einem Türhüter abgewiesen: Es sei möglich, aber nicht jetzt. Anschließend wartet der brave Mann viele Jahre darauf, hineingelassen zu werden. Von Bitten und Betteln bis zum Bestechen versucht er alles, um den Türhüter zu erweichen, aber er schafft es nicht. So verbringt der Mann sein ganzes Leben vor der Tür. Kurz bevor er stirbt, fragt er den Türhüter, warum denn in all den Jahren nie ein anderer gekommen war, warum er der Einzige war, der Einlass verlangt hatte. Der Türhüter antwortet: »Hier konnte niemand sonst Einlass erhalten, denn dieser Eingang war nur für dich bestimmt. Ich gehe jetzt und schließe ihn.«
Brave Jungs kommen in den Himmel, böse Jungs …
Jawohl, ich glaube, wir alle, mich selbst eingeschlossen, berücksichtigen viel zu viele Dinge, die wir gar nicht berücksichtigen müssten. Wir nehmen an, dies oder das mache man so und so. Das meiste in unserem Leben richten wir so ein, weil »man« das so macht. Wir nehmen an, wir müssten, aber es ist ja gar nicht wahr. Wir müssen nicht!
Einfach etwas tun, egal wie die Umstände sind, das passiert uns fast nie. Und für diese allgemeine Rücksicht auf die Umstände finden wir natürlich sofort und immer unzählige schlaue Begründungen. Rational ist uns immer klar, warum wir uns an die Umstände anpassen müssen, so wie alle anderen. Wir finden die Gründe immer, wir sind ja nicht doof, wir sind intelligent.
Unsere negative Annahmestruktur ist wie ein Teufelchen, das auf unserer Schulter sitzt und uns bei jeder Versuchung tausend Gründe ins Ohr flüstert, warum es nicht geht, was wir gerade erwägen zu tun.
Wenn dann unter den Geburtstagsgästen des ledigen und unversprochenen Hausherrn zwei so attraktive wie pragmatische Damen sind, kann dieses Teufelchen eine perfide Rolle spielen: Die beiden Damen bemerken im Laufe des Abends, dass die jeweils andere die gleiche Absicht verfolgt, nämlich den Geburtstagsgast nach Strich und Faden zu verführen. Aus irgendwelchen Gründen, vielleicht eine besondere Sternenkonstellation, beginnen sie aber keinen Krieg, sondern einigen sich zu allseitigem Vorteil auf eine Kombilösung. Als die Feier ausklingt, nutzen sie eine Gelegenheit, den Glücklichen unter sechs Augen zu sprechen und ihn dabei intensiv im Doppelpack zu bezirzen: Du, schau mal, wir hatten da so eine Idee, wie wir drei heute noch maximalen Spaß haben könnten. Was meinst du, kannst du raten, an was wir denken? Und dabei lecken sie sich die Lippen, werfen den Kopf in den Nacken und fahren
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