Schatzfinder
fähig, zu differenzieren zwischen der Anpassung an die Umstände und der Anpassung der Umstände an uns.
Wir sind offenbar nicht fähig, zu differenzieren zwischen der Anpassung an die Umstände und der Anpassung der Umstände an uns. Es ist die Frage, wer Subjekt und wer Objekt ist. Wer beeinflusst wen oder was? Lasse ich mich von einem Ding zum Objekt machen, oder nehme ich das Ding in die Hand und verfahre damit, wie ich es für richtig halte? Stehe ich über den Dingen oder nicht?
Über den Dingen stehen heißt: Wir müssen Rebellen werden! Wir müssen rücksichtslos die Umstände unserem Willen unterwerfen lernen. Wenn ich den Raum für ein Meeting herrichte, dann richte ich ihn nicht für eine Filmvorführung her, sondern eben für ein Meeting. Bis in die letzte Konsequenz. Wenn wir etwas wollen und beschlossen haben, dann dürfen uns die Umstände nicht stoppen. Wir passen uns an Umstände an, die es gar nicht gibt. Wir suchen Begründungen, etwas zu tun oder nicht zu tun, und sind intelligent genug, welche zu finden. Und wir finden immer Ausreden, warum dieses Vorhaben, diese Idee nicht funktioniert.
Die goldenen Perlen steigen in meinem Prosecco-Glas wie die Laune im Zimmer. Eben sind Paletten mit meinem neuen Buch angeliefert worden. Das ganze Team steht mit Gläsern in der Hand im Lager herum, um auf das neue Werk anzustoßen, und alle sind ganz aus dem Häuschen. Nur der Scherer steht wieder da wie der Sauerampfer. Denn mir ist so gar nicht nach Feiern. Eben habe ich das Buch in die Hand genommen. Was sehe ich? Einen Rechtschreibfehler.
Anstoßen? Ich wüsste nicht worauf. Warum soll ich etwas feiern, das sich so viel besser hätte erledigen lassen? Wie ein Baum so groß ist dieses Haar in meiner Suppe. In meinem Kopf geht es rund. Wenn ich so in den Raum blicke, sehe ich jetzt nur nutzlos die Mannstunden runterrasseln. Schade um den Prosecco. Lieber würde ich ihn verschütten als trinken. Ich stelle das Glas zur Seiteund verabschiede mich mit den Worten: »So schlecht wie heute dürfen wir nie wieder sein.«
Abends erzähle ich davon und werde getröstet: »Sei zufrieden. Du hast alles richtig gemacht.« Ich springe auf. Genau das ist es ja! Ich habe eben
nicht
alles richtig gemacht. Es geht besser. Selbst wenn alles richtig wäre. Das Buch verkauft sich glänzend, ich weiß. Aber wird es ein Bestseller?
»Beruhige dich«, heißt es. »Du bist unter den besten 3 Prozent im Markt.«
Was nützt mir ein Lob für 97 Prozent, wenn ich mich mit den 3 Prozent messe?
Da haben wir’s, das süße Gift: Sei zufrieden, beruhige dich, du hast genug getan. Was nützt mir ein Lob für 97 Prozent, wenn ich mich mit den 3 Prozent messe, die besser sind? Ich will mich nicht an den Markt anpassen, ich will der Markt sein. Und wenn es peinlich ist? Wenn die Rücksichtslosigkeit unangenehme Konsequenzen nach sich zieht? Egal! Tu jeden Tag eine gute Tat, indem du dich blamierst!
Der Durchbruch der Lächerlichkeit
Als Zyklop kann man sich ganz schön blamieren! Ich war Polyphem, der einäugige Riese, der Sohn des Poseidon. Und ich machte mich lächerlich … denn genau das war das Ziel der Übung, die ich anleitete. Ich war damals noch Trainer und lehrte nach dem Vorbild des berühmten Dale Carnegie. In dieser Übung sollten die Teilnehmer ihre Hemmungen ablegen, indem sie eine Rolle spielen. Dabei sollten sie die unsichtbare Grenze zwischen der Konformität und der totalen Lächerlichkeit durchbrechen, sie sollten nicht nur spielen, sondern dabei so richtig die Sau rauslassen. Ich machte ihnen vor, wie das gemeint war: Als Polyphem begann ich zu schmatzen, umherzuschlurfen, zu stöhnen, zu trampeln, ich warf mich grölend vor den 40 Teilnehmern auf den Boden, wälzte mich, zog mich am Hosenbein eines Teilnehmers hoch und tat so, als wollte ich ihn auffressen. Und als alle verblüfft waren, wie sehr ich mich gehen ließ, legte ich noch eine Schippe drauf. Ich spielte nicht einen Zyklopen, ich
war
ein Zyklop. Es war eine gewaltige Vorstellung! Dabei war es mir völlig egal, dass wir uns im angesehenen Queens-Hotel befanden, dass im Raum nebenan noch andere Veranstaltungen waren und dass die akustische Dämmung der Wände nicht zyklopengerecht ausgeführt war. Ich stöhnte, schmatzte, grölte, wieherte … da ging die große Flügeltür auf. In der Tür standen: der Hoteldirektor, der Marketingleiter und der Verkaufsleiter des Queens-Hotel München. Und starrten mich an.
Dabei sollten sie die unsichtbare Grenze
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