Schau Dich Nicht Um
Mutter«, antwortete Rosaria Gambala. Sie sprach im Präsens von ihrer Tochter.
»Wann haben Sie Ihre Tochter vermißt gemeldet, Mrs. Gambala?«
»Am neunundzwanzigsten Oktober 1992, als sie nach der Arbeit nicht zu mir kam, um Steffan abzuholen.«
»Steffan ist ihr Sohn?«
»Ja. Mein Enkel. Er kommt nach der Schule immer zu mir, bis Connie mit der Arbeit fertig ist. Sie ruft immer an, bevor sie im Büro weggeht.«
»Und am Nachmittag des neunundzwanzigsten Oktober rief Ihre Tochter Sie an und sagte, sie ginge jetzt los. Aber sie ist nie bei Ihnen angekommen, ist das richtig?«
»Ich habe die Polizei angerufen. Dort hat man mir gesagt, ich müßte vierundzwanzig Stunden warten. Dann hab ich bei Ihnen angerufen, aber Sie waren nicht zu Hause.«
»Warum haben Sie bei mir angerufen, Mrs. Gambala?«
»Weil Sie ihre Anwältin sind. Sie wollten ihr doch helfen. Sie haben gewußt, daß ihr Leben in Gefahr war. Sie haben von seinen Drohungen gewußt.« Sie wies mit anklagendem Finger auf Rick Ferguson.
»Einspruch!« rief Don. »Hörensagen.«
»Wir sind in einer Vorverhandlung«, sagte Jess. »Hörensagen ist zugelassen.«
»Ich werde es zulassen«, entschied die Richterin. »Fahren Sie fort, Ms. Koster.«
Jess richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf Rosaria Gambala. »Rick Ferguson hat Ihre Tochter bedroht?«
»Ja. Sie hatte solche Angst vor ihm. Er hat gedroht, er würde sie umbringen.«
»Einspruch!« rief Don wieder. »Euer Ehren, können wir einen Augenblick vortreten?«
Die beiden Anwälte traten vor den Richtertisch.
»Euer Ehren, ich finde, jetzt wäre der geeignete Moment, über meinen Antrag auf Beschränkung der Beweisvorlage zu entscheiden«, begann Don, die Initiative sofort an sich reißend. »Der Antrag ist in der Tatsache begründet, daß fast das gesamte Beweismaterial gegen meinen Mandanten auf Hörensagen beruht und in hohem Grad voreingenommen ist.«
»Was in einer Vorverhandlung zulässig ist«, sagte Jess erneut.
»Euer Ehren, es gibt keinerlei direkte Beweise dafür, daß mein Mandant Mrs. DeVuono je bedroht hat.«
»Die Anklage wird neben Mrs. Gambala zwei weitere Zeuginnen rufen, die aussagen werden, daß Mrs. DeVuono vor dem Angeklagten Todesangst hatte, daß er ihr gedroht hatte, sie zu töten, wenn sie vor Gericht gegen ihn aussagen sollte.«
»Euer Ehren, solche Aussagen, die auf Hörensagen beruhen, sind nicht nur präjudizierend, sondern auch irrelevant.«
»Irrelevant?« rief Jess. Sie hörte, wie ihre Stimme sich an den Glaswänden brach. »Sie belegen das Motiv, Euer Ehren. Mrs. DeVuono hatte Rick Ferguson beschuldigt, sie geschlagen und vergewaltigt zu haben -«
»Was niemals vor einem Gericht bewiesen wurde«, erinnerte Don sie.
»Weil Connie DeVuono nie bis vor Gericht gekommen ist. Sie wurde ermordet, ehe sie aussagen konnte.«
»Euer Ehren«, sagte Don mit Nachdruck, »mein Mandant hat stets seine Unschuld an dem Überfall an Mrs. DeVuono beteuert. Tatsache ist, daß er für die Zeit des angeblichen Überfalls ein hieb-und stichfestes Alibi hat.«
»Ich werde mehrere Polizeibeamte aufrufen, die aussagen werden, daß Mrs. DeVuono Rick Ferguson eindeutig als den Mann identifiziert hat, der sie geschlagen und vergewaltigt hat«, argumentierte Jess.
»Hörensagen, Euer Ehren«, erklärte Don kategorisch. »Die einzige Person, Euer Ehren, die meinen Mandanten als den Angreifer in diesem Fall identifizieren könnte, die einzige Person, die bezeugen könnte, daß er ihr Leben bedroht hat, ist tot. Da niemals nachgewiesen wurde, daß mein Mandant mit dem Überfall auf Mrs. DeVuono zu tun hatte, muß ich verlangen, daß Sie die Vorlage derart reißerischen und präjudizierenden Beweismaterials gegen meinen Mandanten untersagen.«
»Euer Ehren«, sagte Jess rasch, »wir behaupten, daß diese Aussagen, auch wenn sie zugegebenermaßen auf Hörensagen beruhen, beweiserheblich sind. Sie gehören zum Kern der Beweisführung der Anklage gegen Mr. Ferguson.«
»Tatsache ist doch, daß die Anklage außer einer Reihe unbestätigter Behauptungen aus zweiter Hand nichts vorweisen kann, was meinen Klienten mit der Toten verknüpft.«
»Euer Ehren«, sagte Jess, die bemerkte, daß die Wangen der Richterin jetzt hochrot waren, »die Anklage beabsichtigt, Mrs. DeVuonos beste Freundin und eine ihrer Arbeitskolleginnen in den Zeugenstand zu rufen. Beide Frauen werden aussagen, daß Mrs. DeVuono Todesangst vor Rick Ferguson hatte, daß sie ihnen erzählte, wie er ihr gedroht hatte,
Weitere Kostenlose Bücher