Schau Dich Nicht Um
nicht mal Ihren Schatten zu sehen bekommen. Ist das klar?«
Rick Ferguson krümmte sich zusammen und drückte die Hand auf sein Herz, als hätte er eine tödliche Wunde empfangen. »Sie sind ein harter Mann, Mr. Shaw«, sagte er und richtete sich rasch wieder auf, »aber, zum Teufel, wenn Sie’s so wollen, dann sollen Sie’s so haben. Ich fühl mich eben im Moment nur so gut, daß ich’s gern weitergeben wollte.«
»Gehen Sie nach Hause, Rick«, sagte Don. Er packte ihn grob beim Ellenbogen und führte ihn zu den Aufzügen, von denen einer gerade seine Türen öffnete, als sie sich näherten. Doch ehe sie in die Kabine treten konnten, riß Rick Ferguson sich von seinem Anwalt los und rannte zu Jess zurück.
Jess hielt den Atem an, als er sich näherte, fest entschlossen, keinen Schritt von der Stelle zu weichen. Er würde es nicht wagen, ihr etwas anzutun, nicht hier im Gerichtsgebäude, im Beisein seines Anwalts, der ihm bereits folgte.
»Wollen Sie wissen, wie ich mich fühle, Frau Staatsanwältin?« fragte er sie. Er starrte ihr direkt in die Augen und sprach so leise, daß nur sie ihn hören konnte. »Ich fühl mich wie die Katze, die den Kanarienvogel gefressen hat.«
Einen Moment lang verschlug es Jess die Sprache und den Atem. »Sie gemeines Schwein«, flüsterte sie.
»Worauf Sie sich verlassen können«, gab Rick Ferguson zurück. »Und machen Sie sich keine Sorgen«, fügte er hinzu, Sekunden bevor Don ihn zu Boden riß. »Sie werden nicht mal meinen Schatten zu sehen kriegen.«
25
U m fünf vor sechs hielt Jess den Wagen, den sie sich gemietet hatte, in Evanston vor dem Haus ihrer Schwester an. Der blaue Buick ihres Vaters stand schon in der Auffahrt. »Pech«, flüsterte sie. Sie hätte sich eine Galgenfrist gewünscht, um wenigstens noch ein Glas trinken zu können, ehe sie die Bekanntschaft der fremden Frau machen mußte. »Bleib jetzt bloß ruhig. Lächle, mach ein fröhliches Gesicht.«
Sie wiederholte. sich diese einfachen Sätze, bis sie völlig sinnlos geworden waren. Da änderte sie die Formulierung. »Sei nett. Sei freundlich. Streite dich nicht.«
»Streite dich nicht«, sagte sie wieder. Sie nickte energisch mit dem Kopf, bis sie das Gefühl hatte, er würde gleich herunterfallen, während sie sich bemühte, den Mut aufzubringen, aus dem Wagen zu steigen. »Sei nett.«
Die Haustür wurde geöffnet. Barry erschien, winkte ihr mit großer Bewegung, ins Haus zu kommen. Konnte wirklich ihr Schwager diesen gräßlichen Brief geschickt haben?
Mach dich nicht lächerlich, sagte sie sich und achtete sorgsam darauf, daß ihre Lippen sich nicht bewegten. Barry hat dir diesen Brief nicht geschickt. Rick Ferguson hat ihn geschickt.
Jetzt machst du dich wirklich lächerlich, widersprach eine andere Stimme. Rick Ferguson hat gar nichts getan. Er ist nicht schuldig, oder hast du das vergessen? Es gibt einfach keine konkreten Beweise
dafür, daß er irgend etwas Unrechtes getan hat. Du konntest nicht nachweisen, daß er schuldig ist. Daher ist er unschuldig.
Ja, er ist unschuldig und lauert nur darauf, dir etwas anzutun, dachte sie. Sie öffnete die Wagentür, stieg aus, schlug die Tür zu, sie würde sich nicht einschüchtern lassen. Morgen, in der letzten Stunde ihres Selbstverteidigungskurses, würde sie lernen, wie man einen Angreifer entwaffnete. Sie zweifelte, daß Rick Ferguson vorher etwas unternehmen würde. Es wäre zu auffällig, selbst für seine Dreistigkeit. Wenn ihr etwas zustoßen sollte, würde man augenblicklich ihn verdächtigen.
Und wenn schon, dachte Jess, die eben merkte, daß sie nicht einmal eine Flasche Wein oder ein paar Kleinigkeiten für die Kinder mitgebracht hatte. Rick Ferguson war auch nach der Ermordung Connie DeVuonos augenblicklich verdächtigt worden; und er war der einzige Verdächtige gewesen. Auch hier war der Zusammenhang auffällig gewesen. Und dennoch war es der Anklage nicht gelungen, ausreichendes Beweismaterial zu beschaffen, um ihm den Prozeß zu machen. Zweifellos würde er es genauso clever anstellen, wenn er sie beseitigte, obwohl er eigentlich jetzt, da das Verfahren eingestellt war, keinen Grund mehr hatte, ihr etwas anzutun.
Außer daß es ihm Spaß machen würde, das war Jess klar. Sie wußte, daß Rick Ferguson fest vorhatte, ihr etwas anzutun. Er würde sich Zeit lassen, noch ein wenig mit ihr spielen, wie eine Katze mit ihrer Beute, und dann würde er zuschlagen. Keine Zeugen. Keine Spuren. Nichts, was ihn in irgendeiner Weise
Weitere Kostenlose Bücher