Schau Dich Nicht Um
Einem Mann mit einer geladenen Kanone zu sagen, er soll machen, daß er rauskommt. Das ist wirklich süß. Gleich wirst du mir wohl noch sagen, daß ich für das hier büßen werde.«
»Das wirst du auch.«
»Irrtum. Du vergißt, daß ich einen verdammt guten Anwalt hab.«
Jess blickte zum Fenster. Die Vorhänge waren offen, von der Straße fiel Licht ins Zimmer und füllte es mit Schatten und Geistern. Vielleicht würde draußen jemand sie sehen. Vielleicht beobachtete gerade jetzt jemand die Szene. Wenn es ihr gelang, Rick Ferguson
weiter am Sprechen zu halten, wenn sie ihn irgendwie lange genug ablenken konnte, um ans Fenster zu gelangen, dann konnte sie vielleicht - was denn? Hinausspringen? Schreien? Was konnte ein Schrei schon gegen einen geladenen Revolver ausrichten? Beinahe hätte sie gelacht - morgen hätte sie lernen sollen, wie man einen Angreifer entwaffnet. Morgen - das würde sie wohl kaum noch erleben.
Auf ihrer Stirn sammelte sich Schweiß, er rann ihr in die Augen und mischte sich mit ihren Tränen. Das Licht der Straßenlampen verschwamm vor ihrem Blick, lief auseinander wie das Licht eines Scheinwerfers, blendete sie wie die Sonne. Sie glaubte, irgendwo draußen Stimmen zu hören, aber die Stimmen klangen verzerrt, wie auf einer Schallplatte, die mit der falschen Geschwindigkeit abgespielt wird. Zu langsam. Alles viel zu langsam. Eine Szene aus einem Film, in Zeitlupe gedreht. So also muß Connie sich gefühlt haben, dachte Jess. So also fühlte sich der Tod an.
»Ich dachte, Don hat Sie in eine Maschine nach Kalifornien gesetzt«, hörte sie sich sagen, als wäre sie eine Schauspielerin, deren Text von jemand anderem gesprochen wird.
»Ja, verdammt großzügig von ihm, was? Aber ich hab gefunden, Kalifornien kann noch ein paar Tage warten. Ich hab doch gewußt, wie dringend du mich sehen wolltest. Zieh deinen Pullover aus.«
Er sagte es so beiläufig, daß sie die Worte gar nicht richtig aufnahm. »Was?«
»Zieh deinen Pullover aus«, wiederholte er. »Und die Hose auch gleich, wenn du schon dabei bist. Gleich läuft der lustige Teil an.«
Jess schüttelte den Kopf. Sie spürte, wie ein Wort sich von ihrer Zunge löste und ihr über die Lippen sprang. Kaum hörbar kam es heraus. »Nein.«
»Nein? Hast du nein gesagt?« Er lachte. »Falsche Antwort, Jess.«
Sie fühlte sich, als wäre sie bereits nackt, stünde unbedeckt vor ihm, und sie fröstelte vor Kälte. Sie stellte sich vor, wie seine Hände
ihren Körper mißhandelten, seine Zähne sich in ihren Busen gruben, sein Körper brutal in ihren hineinstieß. Er würde ihr Schmerz zufügen, das wußte sie; er würde dafür sorgen, daß sie litt, ehe sie starb. »Das tu ich nicht«, hörte sie sich sagen.
»Dann muß ich dich eben abknallen.« Er zuckte die Achseln, als wäre das die einzige logische Alternative.
Jess’ Herz schlug so heftig, daß sie meinte, es müßte ihr die Brust sprengen. Wie in Alien dachte sie, erstaunt darüber, daß ihr Verstand sich auf so etwas Triviales konzentrieren konnte. Sie hatte ein Gefühl, als verbrenne sie, dann wieder war ihr plötzlich eiskalt. Wie konnte er nur so ruhig sein? Was ging hinter diesen undurchsichtigen braunen Augen vor, die nichts verrieten?
»Du wirst mich sowieso erschießen«, sagte sie.
»Stimmt nicht. Ich hatte vor, dich mit bloßen Händen zu erledigen. Aber ich schieße_auch, wenn’s sein muß.« Sein Grinsen wurde breiter, seine Blicke glitten über ihren Körper wie eine Armee winziger Schlangen. »In die Schulter. Oder vielleicht ins Knie. Oder ins weiche Fleisch innen an deinem Oberschenkel. Ja, das ist gut. Dann bist du bestimmt nicht mehr so störrisch.«
Jess spürte den brennenden Schmerz, als die Kugel in ihren Oberschenkel einschlug, obwohl sie wußte, daß er nicht geschossen hatte. Sie konnte sich kaum noch auf den Beinen halten, so stark schlotterten ihr die Knie. Ihr Magen krampfte sich zusammen, drohte, sie noch mehr zu demütigen. Wenn ich ihn nur am Reden halten kann, dachte sie. So war das doch in den Filmen immer? Da brachte man die Mörder zum Reden, und dann kam in letzter Minute der Retter. Sie zwang sich zu sprechen. »Wenn hier ein Schuß fällt, werden die Nachbarn aufmerksam.«
Er war unbeeindruckt. »Glaubst du? Als ich kam, hatte ich nicht den Eindruck, daß die Leute hier zu Hause sind. Zieh dich jetzt endlich aus, sonst wird mir langweilig, und wenn mir langweilig wird, werd ich im Bett leicht ein bißchen grob.«
O Gott, dachte Jess. O
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