Schau Dich Nicht Um
gesagt. Als Jess versucht hatte, ihn zu vernehmen, hatte er gegähnt und dann die Augen geschlossen. Er hatte sie noch nicht einmal wieder geöffnet, als sie ihm die Hände mit Handschellen an die Wand fesselten. Er hatte erst Gleichgültigkeit vorgegeben, dann Empörung, als sie ihn fragten, was er mit Connie DeVuono gemacht habe. Er hatte erst Interesse an den Vorgängen gezeigt, als sein Rechtsanwalt, Don Shaw, eingetroffen war, einem Tobsuchtsanfall nahe, über die, wie er meinte, bewußte Mißachtung der Rechte seines Mandanten. Er hatte damit gedroht, einfach die Tür aufzubrechen, wenn es ihm nicht erlaubt werden würde, sich mit seinem Mandanten zu beraten.
»Du hast überhaupt kein Recht hierzusein«, sagte Jess zu ihm, bemüht, ruhig zu sprechen. »Ich könnte dich der Anwaltskammer melden.«
»Wenn hier jemand jemanden der Anwaltskammer meldet«, schoß er sofort zurück, »dann ich dich.«
»Du mich?« Jess hätte es beinahe die Sprache verschlagen.
»Du bist diejenige, die hier das Berufsethos verletzt, Jess«, sagte Don. »Du hattest kein Recht, meinen Mandanten festzunehmen. Und du hattest auch kein Recht, ihn in Abwesenheit seines Anwalts vernehmen zu wollen.«
Es kostete Jess einige Mühe, ihre Ruhe zu bewahren. »Dein Mandant ist nicht festgenommen.«
»Ach so. Er sitzt hier mit Handschellen gefesselt in einem abgesperrten Raum, weil ihm das gefällt. Willst du mir das im Ernst erzählen?«
»Ich brauche dir gar nichts zu erzählen. Ich bin völlig im Recht.«
»Und was ist mit Rick Fergusons Rechten? Oder hast du beschlossen, daß er keine hat, weil du ihn nicht magst?«
Jess ballte ihre Hände zu Fäusten und entspannte sie wieder. Sie umfaßte fest die Rückenlehne eines Stuhls, um nicht die Beherrschung zu verlieren, und nahm sich einen Moment Zeit, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Sie sah ihren geschiedenen Mann wütend an. Er fuhr ungerührt mit seinem Vortrag fort.
»Du hast meinen Mandanten von der Polizei an seiner Arbeitsstätte abholen lassen; du hast ihn nicht auf seine Rechte aufmerksam gemacht; du hast ihm nicht erlaubt, seinen Anwalt anzurufen. Obwohl du genau weißt, daß er einen Anwalt hat. Einen Anwalt, der dir bereits mitgeteilt hat, daß sein Mandant nichts zu sagen hat, sondern sein ihm gesetzlich verbrieftes Recht ausübt zu schweigen. Du weißt bereits, daß das unsere Position ist. Es ist schriftlich niedergelegt. Aber das hindert dich nicht daran, ihn vor seinen Kollegen bloßzustellen, ihn hierher schleppen zu lassen, mit Handschellen an die Wand zu ketten... Herrgott noch mal, Jess, war das wirklich nötig?«
»Ja, ich habe es jedenfalls für nötig gehalten. Dein Mandant ist gefährlich. Und er war nicht sehr kooperativ.«
»Es ist nicht seine Pflicht, kooperativ zu sein. Aber es ist deine Pflicht, dafür zu sorgen, daß er fair behandelt wird.«
»Hat er etwa Connie DeVuono fair behandelt?«
»Darum geht es hier nicht, Jess«, entgegnete Don.
»Hast du mich fair behandelt?«
Einen Moment blieb es still.
»Du hast mich benützt, Don.« Jess hörte die Mischung aus Verletztheit und Ungläubigkeit in ihrer Stimme. »Wie konntest du mir das antun?«
»Wie konnte ich dir was antun? Was meinst du überhaupt, daß ich dir angetan habe?« Ein Ausdruck echter Verwirrung zeigte sich in Dons Gesicht.
Jess schüttelte den Kopf. »Du warst an dem Abend, an dem Connie DeVuono verschwunden ist, bei mir«, begann sie. »Du hast gewußt, daß ich Rick Ferguson verdächtige, daß wir vorhatten, ihn festzunehmen...«
»Ich wußte, daß du ihn verdächtigst, ja. Ich hatte keine Ahnung, daß du vorhattest, ihn festnehmen zu lassen«, erwiderte Don.
»Was sonst hätte ich vorhaben sollen?«
»Na, ich dachte, du würdest wenigstens noch ein paar Tage warten. Jess, seit dem Verschwinden der Frau sind keine achtundvierzig Stunden vergangen!«
»Du weißt so gut wie ich, daß sie nicht wieder auftauchen wird«, sagte Jess.
»Ich weiß nichts dergleichen.«
»Bitte! Beleidige nicht meine Intelligenz.«
»Beleidige du nicht die meine«, parierte Don. »Was erwartest du von mir, Jess? Daß ich dir freie Hand gebe, weil du früher einmal meine Frau warst? Ich mache hier sowieso die reinste Gratwanderung, indem ich versuche, so zu tun, als wärst du ein Mitglied der Staatsanwaltschaft wie alle anderen. Soll ich etwa meinen Gefühlen für dich vor meinen Pflichten gegenüber meinem Mandanten den Vorrang geben? Erwartest du das?«
Jess sagte nichts. Sie starrte auf
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