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Schau Dich Nicht Um

Titel: Schau Dich Nicht Um Kostenlos Bücher Online Lesen
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mitzuteilen, daß sie Angst gehabt hatte, Jess würde es neuerlich gelingen, sie zu überreden, daß sie sich ihrer Feigheit geschämt hatte.
    »Sie würde sich niemals von ihrem Sohn trennen«, sagte Jess leise, und der Satz war schon halb zu Ende, ehe sie sich überhaupt bewußt wurde, daß sie sprach.
    »Sie braucht wahrscheinlich nur Zeit, um mit sich ins reine zu kommen.«
    »Sie würde sich niemals von ihrem Sohn trennen.«
    »Wahrscheinlich sitzt sie irgendwo in einem Hotel. In ein, zwei Tagen, wenn sie sich beruhigt hat, die Möglichkeit hatte, in Ruhe nachzudenken und einen Entschluß zu fassen, ruft sie bestimmt an.«
    »Du hörst mir überhaupt nicht zu.« Jess ging zum Fenster und
blickte zur Straße hinunter. Rasen und Bürgersteige waren mit Schneeflecken gesprenkelt.
    Don trat hinter sie und massierte mit seinen kräftigen Händen ihren Nacken. Plötzlich hörte er auf und legte seine Hände auf ihre Schultern. Jess spürte förmlich, wie er überlegte, im Geist formulierte, was er ihr zu sagen beabsichtigte.
    »Jess«, begann er langsam und bedacht, »nicht jeder, der nicht rechtzeitig zu einer Verabredung kommt, verschwindet für immer.«
    Sie standen beide, ohne sich zu rühren. Im Hintergrund hüpfte Jess’ Kanarienvogel zu den Klängen einer alten Beatlesmelodie in seinem Käfig hin und her. Jess wollte etwas sagen, konnte nicht, weil ihr plötzlich die Brust zu eng wurde. Schließlich gelang es ihr doch, die Worte herauszubringen.
    »Das hat mit meiner Mutter nichts zu tun«, sagte sie zu ihm.
    Wieder Schweigen.
    »Nein?«
    Jess ging von ihm weg, kehrte zum Sofa zurück, ließ sich wie leblos in seine weichen Polster sinken, vergrub das Gesicht in ihren Händen. Nur ihr rechter Fuß, der unablässig auf und nieder wippte, verriet ihre innere Unruhe. Sie blickte erst auf, als sie spürte, wie das Polster neben ihr einsank, wie Don ihre Hände in seine eigenen nahm.
    »Es ist alles meine Schuld«, begann sie.
    »Jess...«
    »Nein, bitte versuch jetzt nicht, mich vom Gegenteil zu überzeugen. Es ist meine Schuld. Ich weiß es. Ich akzeptiere es. Ich habe sie davon überzeugt, daß sie aussagen muß, obwohl sie es in Wirklichkeit nicht wollte; ich habe sie unter Druck gesetzt, ich habe ihr versprochen, daß alles gutgehen würde. Und wer kümmert sich um meinen Sohn? hat sie mich gefragt, und ich hab irgendeinen dummen Scherz gemacht, aber sie meinte es ernst. Sie hat gewußt, daß Rick Ferguson seine Drohung ernst gemeint hat.«

    »Jess -«
    »Sie hat gewußt, daß er sie umbringen wird, wenn sie ihre Beschuldigungen nicht zurücknimmt.«
    »Jess, jetzt bist du wirklich voreilig. Die Frau ist noch keine sechs Stunden verschwunden. Wir wissen doch gar nicht, ob ihr überhaupt etwas passiert ist.«
    »Und ich war auch noch so stolz auf mich selbst. So stolz auf meine Fähigkeit, den Dingen eine andere Wendung zu geben, diese arme, verängstigte Frau davon zu überzeugen, daß sie aussagen müsse; daß sie nur sicher sei, wenn sie aussagte. O ja, ich war sehr stolz auf mich. Es ist ja schließlich auch ein großer Prozeß für mich. Ein möglicher Sieg für meine Akte.«
    »Jess, du hast getan, was jeder tun würde.«
    »Ich hab getan, was jeder Staatsanwalt tun würde. Wenn ich auch nur einen Funken echtes Mitgefühl mit dieser Frau gehabt hätte, hätte ich ihr geraten, ihre Klage zurückzunehmen und zu verschwinden. Mein Gott!« Jess sprang auf, obwohl sie nirgendwohin gehen konnte. »Und ich habe mit diesem brutalen Kerl gesprochen! Ich habe ihm gegenübergestanden und ihn aufgefordert, sich von Connie fernzuhalten. Und dieses Schwein sagt mir direkt ins Gesicht, nur war ich leider viel zu sehr mit meiner eigenen Wichtigkeit beschäftigt, um ihn zu hören, daß Leute, die ihm in die Quere kommen, dazu neigen zu verschwinden. Und ich hab mir eingebildet, er wollte mir drohen. Wem sonst hätte er drohen können? Schließlich ist Jess Koster doch der Nabel der Welt.« Sie lachte. Es war ein hartes, kaltes Lachen, das klirrend in der Luft hängen blieb. »Aber er hat nicht von mir gesprochen. Er hat Connie gemeint. Und jetzt ist sie weg. Verschwunden. Genauso, wie er es angedroht hat.«
    »Jess -«
    »Untersteh dich also ja nicht, mir einreden zu wollen, daß dein Mandant mit ihrem Verschwinden nichts zu tun hat! Untersteh dich ja nicht, mir einreden zu wollen, daß Connie sich von ihrem Sohn
trennen würde, und sei es auch nur für ein oder zwei Tage. Ich weiß, daß sie das niemals tun würde. Wir

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