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Schau Dich Nicht Um

Titel: Schau Dich Nicht Um Kostenlos Bücher Online Lesen
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Empfangstisch. Keine von ihnen beachtete sie.
    »Ich möchte meine Mutter sehen«, rief Jess.
    »Sie haben sie verpaßt«, antwortete eine der Schwestern, ohne daß ihre Lippen sich bewegten.
    »Wohin ist sie gegangen?« Jess wirbelte herum und packte einen vorüberkommenden Pfleger beim Ärmel.
    Greg Olivers Gesicht blickte sie finster an. »Ihre Mutter ist weg«, sagte er. »Sie ist verschwunden.«
    Im nächsten Augenblick stand Jess auf der Straße vor dem Haus ihrer Eltern. An der Ecke wartete eine große weiße Limousine mit laufendem Motor. Jess sah, wie ein Mann die Wagentür öffnete und
ausstieg. Es war dunkel, und Jess konnte sein Gesicht nicht erkennen. Aber sie spürte seine langen, langsamen Schritte, als er auf sie zukam, spürte, wie er hinter ihr die Treppe zur Haustür hinaufstieg, die Hand nach ihr ausstreckte, als sie die Tür aufzog und hinter sich zuschlug. Er drückte sein Gesicht an das Fliegengitter, und sein häßliches Grinsen sickerte langsam durch den Maschendraht.
    Sie schrie. Ihre Schreie überbrückten die Dimension zwischen Schlafen und Wachen, und sie fuhr so heftig, als habe ein Wecker sie geweckt, aus dem Schlaf. Sie sprang auf und fuchtelte wie eine Wilde in der Dunkelheit herum. Wo war sie?
    Don war sofort an ihrer Seite. »Jess, beruhig dich, es ist ja gut. Es war nur ein böser Traum.«
    Da erinnerte sie sich an alles: an die Party, den Wein, Trish, Mrs. Gambala, Don. »Du bist noch hier«, sagte sie dankbar. Sie ließ sich wieder in seine Arme fallen und wischte sich die Feuchtigkeit von Schweiß und Tränen von den Wangen, während ihr Herz noch immer wie rasend schlug.
    »Atme tief durch«, riet er ihr, als könnte er das Chaos sehen, das sich in ihrem Körper ausbreitete. Seine Stimme war schlaftrunken. »So ist es richtig. Ein und aus. Ganz ruhig. Gut so. So machst du es richtig.«
    »Es war derselbe Traum, den ich früher schon immer gehabt habe«, flüsterte sie. »Weißt du noch? Der, in dem der Tod auf mich wartet.«
    »Du weißt doch, daß ich niemals zulassen würde, daß dir jemand etwas antut«, versicherte er ihr, seine Stimme schon wieder klar und kontrolliert. »Es wird alles gut. Ich verspreche es dir.«
    Wie Mutter, dachte sie und kuschelte sich bequemer in seine Arme.
    Ungefähr eine halbe Stunde später führte er sie in ihr Schlafzimmer. »Ich finde, du solltest jetzt zu Bett gehen. Ist es in Ordnung, wenn ich dich allein lasse?«

    Jess ließ es sich mit einem schwachen Lächeln gefallen, daß Don sie, vollbekleidet, in ihr Bett steckte und zudeckte. Halb wünschte sie, er würde bleiben; halb wünschte sie, er würde gehen; wie es immer war, wenn sie zusammen waren. Würde sie je dahinterkommen, was sie eigentlich wollte? Würde sie je erwachsen werden?
    Wie sollte sie, ohne eine Mutter?
    »Natürlich, es ist schon in Ordnung«, versicherte sie ihm, als er sich über sie neigte, um sie auf die Stirn zu küssen. »Don...?«
    Er rührte sich nicht.
    »Du bist ein netter Mann«, sagte sie.
    Er lachte. »Ich bin gespannt, ob du das in ein paar Tagen auch noch so sehen wirst.«
    Sie war zu müde, ihn zu fragen, was er meinte.
     
    »Du gemeiner Hund!« schrie sie kaum achtundvierzig Stunden später. »Du Dreckskerl! Du ekelhaftes, gemeines Schwein!«
    »Jess, beruhige dich doch!« Bestrebt, sich seine wütende Ex-Frau vom Leibe zu halten, wich Don mit ausgestreckten Armen vor ihr zurück.
    »Ich kann einfach nicht glauben, daß du dir so was einfallen lassen würdest!«
    »Kannst du nicht wenigstens deine Stimme etwas senken?«
    »Du Scheißkerl! Du Ekel! Du - gemeiner Hund!«
    »Ja, ich hab’s ja schon kapiert, Frau Anwältin. Halten Sie es für möglich, daß Sie sich jetzt ein wenig beruhigen können, damit wir diese Geschichte so sachlich besprechen können, wie sich das für zwei vernünftige Anwälte gehört?«
    Jess verschränkte die Arme über der Brust und starrte zu dem blutroten Betonboden hinunter. Sie befanden sich in einem kleinen fensterlosen Raum in der ersten Etage des Polizeireviers im Zentrum von Chicago. Die in die farblosen Dämmplatten der Zimmerdecke eingelassenen Lampen warfen ein starkes Licht. An einer
Wand stand eine Bank; an einer anderen stand ein Resopaltisch, der am Boden festgeschraubt war, neben ihm mehrere unbequeme Stühle. Im anschließenden Raum, der kleiner und noch bedrückender war, saß Rick Ferguson, mürrisch und stumm. Seit die Polizei ihn an diesem Morgen zum Verhör hereingebracht hatte, hatte er nicht ein Wort

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