Schau mir ins Herz
entgangen, wie herzlich sie Carol in die Familie aufgenommen hatte. Wichtiger noch, sie war die Braut, die der Baron für sich erwählt hatte, also musste sie etwas Besonderes sein und verdiente ihren Respekt und ihre Zuneigung.
Cassar, der Gärtner, begrüßte sie auf Maltesisch und überreichte ihr einen Blumenstrauß.
„Wie schön sie sind“, sagte Carol bewundernd. „Und wie herrlich sie duften.“
Ein Lächeln breitete sich auf dem faltigen Gesicht des alten Mannes aus. „‚Was immer eine junge Braut berührt, riecht gut‚“, erwiderte er. „Ein maltesisches Sprichwort.“
Sichtlich stolz führte Cassar sie in dem weitläufigen Garten herum, zeigte ihr seine Pflanzenzucht und die Gewächshäuser unterhalb der Terrasse.
Anna, die Köchin, dagegen schien weit weniger bereit, sie in ihr Reich zu lassen. „Wie viele Leute erwarten Sie zum Abendessen?“, erkundigte sie sich bei Carol, die nicht entscheiden konnte, ob der Blick, mit dem die Köchin sie betrachtete, wissend, mitleidig oder einfach fragend war.
„Nur meinen Mann“, antwortete sie und versuchte, so entschieden zu sprechen, wie es ihrer neuen Stellung anstand. „Außer er wird noch länger aufgehalten. Was sind die Lieblingsgerichte des barone?“
Carol hätte keinen besseren Weg finden können, um von Anna ins Herz geschlossen zu werden. Zögernd zunächst und dann immer eifriger erzählte sie, dass Nicolas von Kindesbeinen an ihre torta tar rikotta geliebt habe, eine Pastete mit Frischkäse und Eiern, und dass er ihren gegrillten Schwertfisch jedes Mal lobe. Als die Köchin ging, hatte Carol sie für sich gewonnen.
Im Laufe des Tages kam Nicolas nicht. Carol saß in dem angenehm kühlen Wohnzimmer und wartete auf ihn, als Tante Lucia in einem schreiend bunten seidenen Hosenanzug hereinrauschte. Sie umarmte Carol und schien die Abwesenheit ihres Ehemannes gar nicht wahrzunehmen.
„Frag Frischverheiratete nie nach ihren Flitterwochen“, verkündete sie lebhaft. „Geht es dir gut? Das ist alles, was zählt. So wie ich meinen Neffen kenne, ist er mal wieder mit etwas Wichtigem beschäftigt, und das Letzte, was du tun solltest, ist, in diesem leeren Haus zu bleiben und Blumen zu arrangieren und das Personal zu beaufsichtigen. Der Haushalt läuft wie geschmiert, und Anna kann es ohnehin nicht haben, wenn man seine Nase in ihre Kochtöpfe steckt, also dachte ich mir, ich hole dich ab, und wir machen eine kleine Spritztour.“
Carol sagte nicht Nein. Nach einer Woche des Alleinseins war es eine Wohltat, in Tante Lucias schnittiges kleines Auto steigen zu können und ihrem ununterbrochenen Redeschwall zuzuhören.
„Sie sind abhängig davon, dass die Touristen bei ihnen kaufen“, erklärte sie Carol, nachdem sie an einer Gruppe Frauen vorbeigefahren waren, die am Straßenrand saßen und strickten. „Aber wie viele Pullover kann ein Urlauber in seinem Koffer unterbringen? Ich bin dabei, ein Versandwesen auf die Beine zu stellen.“
„Woher bekommen sie ihre Wolle?“, erkundigte Carol sich. „Ich sehe hier weit und breit keine Schafe.“
„Gozo ist nicht England“, erwiderte Tante Lucia. „Bei uns gibt es keine saftigen grünen Weiden mit Herden weißer, flauschiger Schäfchen. Trotzdem werden sie auf der Insel gehalten. Und da sind wir auch schon – erster Halt: das Kunsthandwerksdorf.“
Es war fast sechs Uhr am Abend, als Tante Lucia sie zum palazzo zurückbrachte. Carol konnte kaum glauben, wie schnell die Zeit vergangen war.
„In ein paar Tagen schleppe ich dich wieder mit“, versprach Tante Lucia gut gelaunt und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Sie lehnte das Glas Sherry ab, das Carol ihr anbot, und schoss in ihrem kleinen gelben Flitzer davon.
Kaum war er außer Sicht, entdeckte Carol den roten Sportwagen auf dem Zufahrtsweg. Er kam in Richtung palazzo. Jeden Augenblick würde Nicolas hier sein.
Für einen Rückzug war es zu spät. Ihr blieb keine Zeit, nach oben zu rennen und sich zu sammeln. Zu überlegen, was sie sagen sollte, oder ihr törichtes Herz dazu zu bringen, langsamer zu schlagen.
Das Auto bremste neben der breiten Vordertreppe, von deren oberster Stufe aus sie Tante Lucia nachgewinkt hatte. Nicolas muss mich gesehen haben, dachte Carol. Es wäre würdelos, jetzt noch davonzulaufen. Und nicht nur das: Sie wollte um keinen Preis, dass er wusste, wie sehr er sie durcheinanderbringen konnte, nun, da sie sich vorgenommen hatte, ihm zu demonstrieren, wie gleichgültig er ihr war.
Dennoch kostete es sie
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