Schauen sie sich mal diese Sauerei an
besondere Schutzkleidung, Hein klärte letzte Details, und Helmuth und ich lagerten den Patienten auf unsere Trage. Wir warteten im Rettungswagen auf den begleitenden Arzt, als bei Helmuth erneut Fassungslosigkeit einsetzte. Der Arzt erschien und eilte mit großen Schritten auf uns zu. Der im Wind wehende Kittel vermittelte eine dramatische Atmosphäre. Mit weit aufgerissenen Augen flüsterte Helmuth mir zu: »Der Arzt trägt gar keine besondere Schutzkleidung, ist der denn wahnsinnig?« Mir war klar, dass der Mediziner höchstwahrscheinlich gegen Tuberkulose geimpft war und somit auf die Schutzkleidung verzichten konnte. Nur mit Mühe gelang es mir, keine Miene zu verziehen. Ich antwortete mit angestrengt ernstem Gesicht: »Er hatte schon Kontakt, Schutzkleidung macht keinen Sinn mehr, er begleitet nur noch den Transport in die Klinik und bleibt dann selber dort. Mehr können wir heute nicht mehr für ihn tun!« Helmuth war betroffen. Hein, der alles mit angehört hatte, erhob seine Stimme. An Helmuth gewandt befahl er: »Und du wirst den Arzt auf keinen Fall auf die Situation ansprechen, das ganze Dilemma ist schließlich schlimm genug! Da muss jetzt nicht noch ein Rettungsdienstpraktikant den Finger in die Wunde legen.« Helmuth nickte verständnisvoll. Unser Patient wurde zwar beatmet, war aber ansonsten kreislaufstabil. Ein unspektakulärer Transport endete mit einer unspektakulären Übergabe. Patient und begleitender Arzt verblieben in der Klinik. Der Zufall wollte es, dass unser Arzt in der Nachbarschaft der Lungenfachklinik wohnte, in die wir unseren Patienten überführt hatten. Durch den Transport hatte er sich einen aufwändigen Heimweg mit öffentlichen Verkehrsmitteln erspart. Dieses kleine Detail war Helmuth entgangen, und so gewann unsere Ebola-Geschichte noch ein wenig mehr an Glaubwürdigkeit. Zurück auf der Wache, vernichteten wir unsere Schutzkleidung und desinfizierten den Rettungswagen. Während dieser Tätigkeit stellte Helmuth viele interessierte Fragen zum Krankheitsverlauf von Ebola. Übertragungswege, Inkubationszeit und erste Symptome wurden besprochen. Nicht dass Hein oder ich wirklich Ahnung von der Materie gehabt hätten, aber ein solides Halbwissen aus den Medien reichte aus, um Helmuths Neugier zu befriedigen. Eine gewisse Unsicherheit steckte Helmuth jedoch nach wie vor in den Knochen, er stellte weitere Fragen: »Darf ich denn heute meine Freundin küssen?« Oder: »Kann ich irgendwelche vorbeugenden Medikamente nehmen?« Jetzt trumpfte Hein groß auf: »Das sicherste Anzeichen ist Fieber, ein rapider Anstieg der Körpertemperatur auf mehr als 39,5°C ist in unserer Situation, also nach einem solchen Transport, sicherlich beunruhigend. Um auf Nummer sicher zu gehen, würde ich heute den persönlichen Kontakt zu mir nahestehenden Personen vermeiden. Außerdem ist eine regelmäßige Temperaturkontrolle sinnvoll.« »Entscheidend ist hierbei allerdings«, fuhr ich bedeutungsschwanger fort, »dass die Messwerte nicht durch fehlerhafte Messungen verfälscht werden. Die einzig zuverlässige Stelle, um die Körperkerntemperatur mit einem handelsüblichen Fieberthermometer zu messen, ist das Rektum, quasi der Popo. Viertelstündige Messungen halte ich für ausreichend, um Veränderungen frühzeitig erkennen zu können. Nicht dass es das eigene Leben retten könnte, aber zumindest könne man dann effektiv seine persönliche Umwelt schützen.« Helmuth hatte uns aufmerksam, ja geradezu gebannt zugehört. Angst und Unsicherheit hatten rationales Denken und eine solide Schulbildung besiegt. Helmuth versprach, zum Dienstbeginn am nächsten Morgen eine Fieberkurve zu erstellen und diese zur Begutachtung vorzulegen. Eingerahmt ziert dieser grafische Zeuge unseres Ebola-Verdachtfalls noch heute den Aufenthaltsraum meiner Rettungswache. Leo war von unseren Ausbildungsmethoden nur wenig begeistert. »Falls ihr noch irgendwelche Azubis vergraulen wollt, gerne! Dann werdet ihr zwei schon sehen, welche Arbeiten in Zukunft an euch hängen bleiben!« Seine gebrüllte Drohung zeigte Wirkung. Kleinlaut entschuldigten wir uns bei Helmuth und klärten den Sachverhalt auf. Helmuths Praktikum endete wenige Tage später, die theoretische Sanitäterprüfung hat Helmuth mit Bravour bestanden, in der Praxis ist er durchgefallen. Fürs Leben hat er bei uns auf jeden Fall viel gelernt. Helmuth arbeitet heute in leitender Position im Gesundheitswesen.
9. Politkverdrossenheit und häusliche Infrastruktur werden zum
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