Schauen sie sich mal diese Sauerei an
Jahreszeitenwechsel verboten. Fantasten und Zukunftssaboteure, die uns da regieren. Die sind doch alle nicht mehr ganz richtig im Kopf!«, ereiferte sich Herr Preuss. »Beruhigen Sie sich, das ist besser für Ihre Atmung«, versuchte Hein zu unterbrechen. »Mich beruhigen, wie soll das gehen? Dass in der Regierung nur Blitzbirnen sitzen, war mir ja klar, aber die neue Opposition setzt dem Ganzen noch die Krone auf«, japste unser Patient mit inzwischen bläulichen Lippen. Unter deutlichen Nebengeräuschen bei der Einatmung zog Herr Preuss mühsam Luft in den Brustkorb, nur um mit seiner Tirade fortzufahren: »Da sagt so ein abgewählter Sozi: >Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz ist eigentlich ein Zukunftsverhinderungsgesetz<, so was kann sich doch kein mündiger Bürger länger anhören. Größenwahn, jetzt wollen die schon die Zukunft per Gesetz verhindern, gehts noch? Die ganze Parlamentsbande hat doch den Knall nicht gehört!« Herr Preuss schwadronierte munter weiter, Steuerreform, Klimawandel und andere aktuelle Themen der Tagespolitik wurden verbal beackert und die zuständigen Politiker in Abwesenheit zur Rechenschaft gezogen. Hein und ich ließen diese Zeit nicht ungenutzt verstreichen. Unser Patient wurde eingehend untersucht. Die Lunge wurde abgehört, Medikamente vorbereitet und aufgrund bedrohlich schlechter Sauerstoffwerte im Blut ein Notarzt bestellt. Es vergingen einige Minuten, bis das alarmierte NEF (Nortarzteinsatzfahrzeug) vor dem Haus parkte. Hein stand auf dem kleinen Balkon und beobachtete die Situation: »Langer als Notarzt, den Assistenten hab ich nicht erkannt, bis die den Aufstieg durchs Treppenhaus hinter sich haben, vergeht ne Weile. Ich leg schon mal die Kanüle für die Infusion«, verkündete Hein und machte sich ans Werk. Herr Preuss, der die Prozedur bereits kannte, streckte seinen Arm aus, um sich von Hein mit einer Nadel malträtieren zu lassen. In der Zwischenzeit kontrollierte ich nochmals die Werte unseres Patienten und passte die eingestellte Sauerstoffdosierung an. Wenig später traf die akademische Unterstützung völlig außer Atem ein: »Hier siehts ja schon nach großer Medizin aus! Ist das denn auch wirklich alles nötig?«, stellte NA Langer sowohl unser Handeln als auch sein ungewolltes Konditionstraining im Treppenhaus keuchend in Frage. Sein Assistent setzte noch eins drauf: »Wenn ich hier wohnen müsste, hätte ich auch Luftnot! Aber nicht wegen der paar Treppen. Im Flur stinkt es nach Scheiße und Pisse! Wem ist denn da der Darm geplatzt? Den Puff hier kann man im Flur nicht mal lüften, kein einziges Fenster!« Nach kurzer Mitteilung medizinischer Fakten beruhigten sich beide und sahen die Notwendigkeit ihrer Alarmierung auch umgehend ein. Ungeachtet der miserablen Odorierung der Umgebungsluft hatte Herr Preuss eine vernünftige Versorgung verdient, die durch Hein und mich eingeleitet worden war und nun mithilfe von NA Langer professionell fortgeführt wurde. So sehr wir uns gemeinsam bemühten, so tief unser Notarzt in die medikamentöse Trickkiste griff, so wenig war eine wirklich elementare Verbesserung des Zustands unseres Patienten festzustellen. Beim Abhören der Lunge waren die Nebengeräusche der Atmung zwar nicht mehr ganz so bedrohlich wie bei unserem Eintreffen, jedoch war die Sauerstoffsättigung des Blutes trotz aller Maßnahmen immer noch nicht zufriedenstellend. NA Langer stellte nüchtern fest: »Es hilft nix, Herr Preuss, hier vor Ort krieg ich Sie im Augenblick nicht repariert, wir müssen Sie ins Krankenhaus bringen!« »Ja, von mir aus, an mir soll es nicht scheitern. Solange Sie mir nachher nicht den Vorwurf machen, ich wäre verantwortlich für die finanzielle Situation bei den Krankenkassen, können Sie mit mir machen, was Sie wollen. Im Krankenhaus funktionieren wenigstens die Scheißhäuser.« Hein war der Erste, der die in diesem Moment alles entscheidende Frage laut formulierte: »Wie kriegen wir Herrn Preuss denn zeitnah in den Rettungswagen? Ich möchte nur kurz den defekten Aufzug erwähnen und daran erinnern, dass wir uns im 32. OG befinden. Laufen kann Herr Preuss wohl kaum mit seiner Luftnot.« »Die Drehleiter der Feuerwehr!«, sagte der Notarztassistent siegessicher. »Reicht nicht bis hier oben. Die maximale Leiterlänge liegt bei dreißig Metern, wir sind hier aber auf circa achtzig Metern.« Leider muss ich des Öfteren gute Vorschläge ablehnen, weil sie einfach nicht ins Raum-Zeit-Kontinuum passen. Unser Notarzt begann
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