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Schauen sie sich mal diese Sauerei an

Schauen sie sich mal diese Sauerei an

Titel: Schauen sie sich mal diese Sauerei an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Nießen
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Glanz. Eine stark durchblutungsfördernde Salbe wurde von Zeit zu Zeit ins Fußbett von Helmuths Schuhen eingearbeitet. Im Winter bei kalten Füßen ist das vielleicht eine nette Geste, im Hochsommer bei 35°C reden wir hier über die Vorstufe von Folter. Ein Meisterstück der subversiven Pädagogik vollbrachten Hein und ich ungewollt an einem lauen Sommerabend. Wir hatten es nicht geplant, es entwickelte sich ohne unser Zutun, ein Wort ergab das andere, und ein Umstand begünstigte den nächsten. Kurz vor Feierabend rief die Leitstelle an und bat uns, einen Rettungswagen für eine Infektionsfahrt vorzubereiten. Hoch infektiöse Patienten, die von einem Kleinstadtkrankenhaus in eine Spezialklinik transportiert werden, erfordern eine gewisse Vorbereitung. Infektionskrankheiten sollen ja nicht durch einen Rettungswagen verbreitet werden. Daher werden bei Infektionstransporten nur die absolut notwendigen Ausrüstungsgegenstände mitgeführt, Fächer und Schubladen werden versiegelt, und das Personal trägt besondere Schutzkleidung. Zur Erläuterung der nun folgenden Ereignisse sollte ich kurz erwähnen, dass es in den Neunzigerjahren auf dem afrikanischen Kontinent zu mehreren Ausbrüchen des Ebolafiebers gekommen war, einer Infektionskrankheit, die in der Regel tödlich verläuft. Die vorbereitenden Maßnahmen wurden durch Helmuth tatkräftig unterstützt. Dabei berichtete er wortreich von seinen Feierabendplänen und brachte zum Ausdruck, wie glücklich er war, den Transport nicht begleiten zu müssen. »Da bin ich aber froh, dass ich gleich nach Hause darf, meine Mutter hat Knödel selbst gemacht, und vielleicht spiele ich noch eine Partie Schach mit meinem Vater. Manchmal trinken wir dabei sogar Wein«, berichtete Helmuth mit einer gewissen Verwegenheit in der Stimme. »So Infektionstransporte sind eh nix für mich, da kann man sich ja die Seuche holen! Ich hatte noch mit 17 Jahren die Windpocken, da muss man vorsichtig sein. So Infektionen wirken sich ja ruckzuck auf die Fortpflanzungsfähigkeit aus«, faselte unser Praktikant, ohne darauf zu achten, wer ihm wirklich zuhörte. Leo, der Leiter der Wache, hatte die Fahrzeughalle betreten. Er beobachtete das geschäftige Treiben und hörte dem Redeschwall unseres Praktikanten aufmerksam zu. Nach einer Weile unterbrach er ihn: »Helmuth, wie viele Infektionstransporte hast du in deinem Praktikum eigentlich schon begleitet?« »Ähm, genau genommen noch keinen, aber ehrlich gesagt, darüber bin ich auch ganz froh«, gestand Helmuth kleinlaut. »Ich überhaupt nicht, am Ende heißt es noch, du hättest bei uns nichts gelernt. Zieh dir einen Schutzanzug an, du darfst den Transport begleiten. Immer sehr lehrreich, so ein Infektionstransport, von wegen Hygiene und so«, antwortete Leo. »Ja, aber ich hab doch gleich Feierabend.« »Papperlapapp, Feierabend, wenn ich so was höre. Immer nur Rosinen picken wollen, hoffentlich bist du bald in deinem Schutzanzug. Noch mal sag ich das nicht, ein paar Überstunden haben noch keinem geschadet!« Leo ließ keine Widerrede zu. Er wandte sich ab und schlenderte zurück in sein Büro. Helmuths Gesichtsfarbe war eine andere geworden, aber wie heißt es doch so schön in unserem Job: Unverhofft kommt oft! Hein und ich wussten längst, dass es sich bei unserem Patienten um einen sechzigjährigen Mann mit Tuberkulose handelte. Eine reine Routinefahrt, die lediglich größeren Aufwand erforderte. Die ängstliche Frage unseres unfreiwilligen Beifahrers, um welche ansteckende Infektionskrankheit es sich bei dem Transport denn genau handele, beantwortete Hein, durch die aktuelle Nachrichtenlage beeinflusst, trocken und spontan mit einem einzigen Wort: »Ebola!« Wir hatten nicht damit gerechnet, dass Heins Aussage ernst genommen werden würde. Bei Helmuth fiel das Wort »Ebola« jedoch auf äußerst fruchtbaren Boden. Während der Fahrt zum Krankenhaus wandelte sich seine Gesichtsfarbe nunmehr zu einem undefinierbaren Grauton. Helmuth faselte permanent krude Wortfetzen: »Unmöglich, kann gar nicht sein, Europa betroffen, Pandemie, Familie anrufen ...« In der Klinik angekommen, komplettierten wir unsere Schutzanzüge; Schutzbrillen wurden aufgesetzt, ein Mundschutz wurde angelegt, und die Ärmel unserer Schutzanzüge wurden mittels Klebeband mit unseren Gummihandschuhen verbunden. So ausstaffiert, machten wir uns auf den Weg zur Intensivstation, um unseren Patienten zu übernehmen. Auch im Zimmer des Patienten trugen alle Krankenschwestern

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