Schauen sie sich mal diese Sauerei an
Problem
Politik ist nicht gesund
Man kann seiner eigenen Zeit nicht böse sein, ohne selbst Schaden zu nehmen. Robert Musil
G leich kann ich nicht mehr! Bitte etwas langsamer, bitte«, keuchte Hein erschöpft. Wir hatten uns inzwischen ins 25.OG des Hochhauses an der Berliner Straße vorgekämpft. »Luftnot bei Preuss«, hatte es in der Alarmierung geheißen. Mittlerweile hätte die Formulierung »Luftnot bei Hein« aber auch Anspruch auf Wahrheit gehabt. Ziel war das 32. OG, wir hatten also noch sieben Geschosse vor uns, in denen jedes Kilo Übergewicht und jede Zigarette einen hohen Preis forderten. Weder Hein noch ich sind wirkliche Liebhaber des Treppensteigens, aber ein defekter Aufzug zwang uns dazu, die zweimal zwölf Stufen pro Etage zu Fuß zu erklimmen. Bei jedem Geschoss musste man ein kurzes Stück Weg durch ein außenliegendes Sicherheitstreppenhaus zurücklegen. Und jedes Mal, wenn man in den kalten Novemberabend hinaustrat, schoss eisige Frischluft in die Lungen, sodass die Bronchien und Bronchiolen fast explodierten. Der nächste Schritt, zurück ins Gebäude, war das fürchterliche Gegenteil: Stickige, verbrauchte Luft mit einer gewissen Urinnote verstopfte den Kehlkopf und nahm einem den Atem. »Wer hat eigentlich erlaubt, dass es Wohnhäuser mit mehr als drei Etagen gibt?«, fragte Hein angestrengt. »Keine Ahnung! Nicht quatschen, weiter!«, befahl ich ebenfalls völlig außer Atem. Nach einer kleinen Ewigkeit erreichten zwei Rettungssherpas, bepackt mit circa 20 kg medizinischer Ausrüstung, das 32. OG. Herr Preuss war ein netter, etwas verschrobener Kerl, den wir nicht zum ersten Mal besuchten. Psychosomatisches Asthma war seine Grunderkrankung. Im Falle von emotionaler Erregung verengten sich seine Luftwege, ein zäher Schleim wurde abgesondert, und der arme Herr Preuss bekam kaum noch Luft. Leider regte sich Herr Preuss in letzter Zeit ziemlich häufig auf. Als wir in die Wohnung traten, die Wohnungstür war nur angelehnt, fragte Hein mit angeekeltem Gesichtsausdruck: »Ich weiß nicht warum, aber ich kriege den Geruch nach Bahnhofstoilette nicht mehr aus der Nase. Hast du das auch?« Ein stummes Nicken war das Zeichen meiner Zustimmung, während ich Hein folgte und den gewohnten Anblick vorfand. Irgendwann hört man auf, Fragen zu stellen. Ich für meinen Teil wundere mich einfach nicht mehr, wenn Patienten mit Luftnot kettenrauchend im Sessel sitzen und auf den gnädigen Erstickungstod warten. Hein hatte die Hoffnung indes noch nicht völlig aufgegeben. »Herr Preuss! Ein Sargnagel nach dem anderen. Die Kippe aus, dann geht es gleich besser mit der Luft!« »Junge, das eine will ich dir sagen, ich rauche ja nicht aus Spaß an der Freude! Bürgerpflicht! Bürgerpflicht, sage ich. Wer nicht raucht, erfüllt in meinen Augen den Straftatbestand des Landesverrats. Mindestens aber Wehrkraftzersetzung. Wer bezahlt denn die innere Sicherheit mit seinen Steuern - die Raucher, jawohl. Wer bekämpft denn die Achse des Bösen? Doch nicht irgendwelche müslifressenden Demokratieschnösel. Raucher, meine Freunde, Raucher sind die Speerspitze im Kampf gegen den Terror!« Herr Preuss keuchte mit Inbrunst, während er zeitgleich nach Luft rang. Herr Preuss, der mit Vornamen Herbert hieß, bewohnte ein kleines, fünfzig Quadratmeter großes Apartment, das eher konservativ eingerichtet war. Drei Meter deutsche Schrankwand in Eiche depressiv harmonierten mit einer bläulichen Ledercouchgarnitur und einem Teppichboden, der in seinen verschiedenen Brauntönen an aufwendige Intarsien erinnerte. Lackierte Holztafeln mit sinnbefreiten Sprichwörtern prangten wie Ikonen mahnend an den Wänden. »Trink Klares - sprich Wahres!« oder »Solange der Arsch in die Hose passt, wird keine Arbeit angefasst!« stand hier zu lesen, um dem Zweifelnden stets den rechten Weg zu weisen. Der Fernseher lief noch, Gundula Gause verlas die Schlagzeilen des Tages, bevor eine Wetterfee den nächsten Tag ohne Sonnenschein ankündigte. »Worüber haben Sie sich denn diesmal aufgeregt? Wir haben Ihnen doch geraten, keine Nachrichtensendungen mehr zu schauen!«, erkundigte ich mich ein wenig empört. Nicht dass wir Herrn Preuss das Recht auf Meinungsbildung absprechen wollten, aber in der Vergangenheit hatten die Tagesthemen bereits zweimal zu einem Asthmaanfall geführt. »Wachstumsbeschleunigungsgesetz, haben Sie schon mal einen solchen Schwachsinn gehört? Wachstum per Gesetz beschleunigen, und morgen wird per Erlass der
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