Schaut nicht weg
Vertrauen und Verlässlichkeit eine wichtige Rolle spielen«, so die Bravo-Forscher. »Nur wenig Jugendliche haben viele sexuelle Partner.« Der Porno scheint auf das Sexualverhalten vieler Jugendlicher also kaum abzufärben. Viele Wissenschaftler empfinden den häufig verwendeten Begriff der »Generation Porno« gar als Zumutung für junge Menschen. Skandalisiert worden sei das Verhalten der so genannten »Jugend von heute« schließlich zu allen Zeiten, weiß der Wiesbadener Sexualpädagoge Rainer Wanielik: »Jugend galt ja immer schonals ungestüm und tendenziell verwahrlost. In den 1950er Jahren waren es die Rocker mit ihrem ungestümen Verhalten, dann die Hippies, dann die Achtundsechziger mit ihrer zügellosen Sexualität, und heute ist es die ›Generation Porno‹ der 13- bis 18-Jährigen. Ich glaube, da handelt es sich vielfach um Projektionen aus der Erwachsenenwelt und nicht um gesicherte Erkenntnisse über das Verhalten Jugendlicher«.
Und doch hinterlassen Pornoclips und die sexuell aufgeladenen Bilder in Popvideos, Modelshows und Werbung Spuren bei Kindern und Jugendlichen – auch wenn sie nicht in der vielbeschworenen »sexuellen Verwahrlosung« münden. Vielmehr führe der Konsum von Pornografie vor allem bei jüngeren Teenagern zu einer großen Unsicherheit darüber, was Sexualität sei und wo diesbezüglich die eigenen Grenzen lägen, so viele Wissenschaftler. Diesen Eindruck kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen: Auch mir berichten Psychologen und Sozialpädagogen aus Beratungsstellen immer wieder, dass viele ihrer jugendlichen Klienten extrem irritiert darüber seien, welche Erfahrungen sie mit 13 oder 14 Jahren schon gemacht haben sollten. »Kinder werden durch Pornografie mit Dingen konfrontiert, die sie – aufgrund ihrer noch nicht vorhandenen sexuellen Erfahrung – noch nicht einordnen können«, erklärt die Kommunikationswissenschaftlerin Petra Grimm, die in ihrer Studie »Gewalt im Web 2.0« den Pornografiekonsum von Kindern und Jugendlichen erforscht. »Die Kinder wissen einfach nicht, ob das Gezeigte der Realität entspricht. Insofern stellt sich weniger die Frage der sexuellen Verwahrlosung als die Frage, ob Jugendliche durch die Medien oder pornografische Inhalte davon abgehalten werden, Sexualität auf ihre eigene Art zu erleben.« Denn: Kinder lernen durch Zuschauen und Nachahmen. Heute können Jungen und Mädchen zu jeder Tageszeit unzählige Menschen beim Sex beobachten und erhaltenmöglicherweise so ein Bild von Sexualität, das sie verstört oder sogar im negativen Sinne prägt. Vor allem, seit die Filme deutlich härter und brutaler geworden sind: Pornos, die sich heute gut verkaufen, handeln überwiegend von Gewalt.
Gerade für das Gefühlsleben emotional vernachlässigter Kinder kann der Konsum von Gewaltpornografie schlimme Folgen haben, sagen viele Experten. »Gewaltpornos wirken eindeutig verstärkend«, meint Klaus Mathiak, Neurobiologe und Verhaltenspsychologe am Universitätsklinikum Aachen, der aktuell ein Forschungsprojekt über die Wirkung von Gewaltmedien auf das Gehirn und das Verhalten des Menschen leitet. »Vom Anblick leidender Menschen sexuell stimuliert zu werden, dazu muss man die Empathie ausschalten, sonst wirkt es nicht. Und das muss man lernen – indem man das immer und immer wieder anschaut.« Schon länger beobachten Psychiater und Psychologen einen Trend zur Gewalt und auch zur sexuellen Gewalt unter Kindern und Jugendlichen. Laut einer Studie des Nordrhein-Westfälischen Familienministeriums über minderjährige Sexualtäter hat sich die Gruppe der 8- bis 13-jährigen Sexualtäter zwischen 1987 und 2006 mehr als verdoppelt. In Teilen mag dies am veränderten Meldeverhalten vieler Eltern und Pädagogen liegen. Und dennoch: »Die Gefahr, die in der sexuellen Enthemmung von Kindern und Jugendlichen steckt, ist wirklich besorgniserregend und wird massiv unterschätzt«, so die Kölner Kriminalpsychologin Sabine Nowara, die in einem Forschungsprojekt die Behandlung von mehr als 300 minderjährigen Sexualstraftätern auswertete. Viele Fachleute vermuten, dass der exzessive Konsum von Gewaltpornografie – innerhalb eines Milieus der generellen emotionalen Verwahrlosung – damit zusammenhängen könnte. Allerdings gibt es zu diesem Thema noch keine abschließenden Studien.
»Checker und Schlampe«: Wie die Sexualisierung Geschlechterbilder und Körperwahrnehmung von Jugendlichen beeinflusst
Und noch eine Folge exzessiven Pornografiekonsums bei
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