Schaut nicht weg
Pobacken – erzählen, dann mache ich mir gelegentlich Sorgen um das Frauenbild, mit dem diese Kinder aufwachsen. Denn können Grundschülerinnen wirklich schon abstrahieren, dass die exzessive sexualisierte Körperlichkeit ihrer großen Vorbilder Klum & Gaga nichts mit ihnen zu tun hat? Meine Töchter interessieren sich zwar noch nicht für Popmusik, aber in ein paar Jahren wird es natürlich auch bei ihnen so weit sein. Wird auch bei ihnen hängenbleiben, dass Frauen nur dann etwas wert sind, wenn sie sexuell attraktiv sind?
»Voll porno«?: Was die Sexualisierung mit unseren Kindern macht
Die Welt unserer Kinder ist überfrachtet mit suggestiven, stark sexuell aufgeladenen Bildern. Doch welche Spuren hinterlassen diese Bilder tatsächlich bei unseren Kindern? Seit einigen Jahren führen Jugendarbeiter, Pädagogen und Forscher eine leidenschaftliche Diskussion darüber. Den Anstoß zu dieser Debatte gab im Jahr 2007 die Veröffentlichung des Buches »Deutschlands sexuelle Tragödie« des Berliner Pastors Bernd Siggelkow, der in Berlin-Hellersdorf das freichristliche Kinder- und Jugendwerk »Arche« leitet und dort Kindern aus problembelasteten Familien ein warmes Mittagessen und Nachmittagsaktivitäten anbietet. Siggelkowbeobachtete, dass viele der von ihm betreuten Kinder stark sexualisiertes Verhalten an den Tag legten. Er ging dem nach und stellte fest, dass viele dieser Kinder zu Hause den Eltern beim Sex zusehen oder im Wohnzimmer mit Vater oder Mutter Pornos schauen durften. Der Pastor diagnostizierte eine Kultur der »sexuellen Verwahrlosung« und schrieb ein Buch, in dem er die These aufstellte, dass in vielen Unterschicht-Familien Sex zum Ersatz für fehlende Geborgenheit und Werte und Liebe ein Fremdwort geworden waren. Siggelkows Buch war vor allem eine Goldgrube für die deutsche Medienszene. Die Geschichte von der sexuell verwahrlosten, frühreifen, zu Partnerschaften unfähigen Jugend schlug enorme Wellen. Im Jahr 2007 malte die Illustrierte Stern unter der Überschrift »Voll Porno« das düstere Bild von Kindern und Jugendlichen, für die Analsex, Gruppenvergewaltigungen und Sado-Maso-Spiele als Handyvideo zum medialen Alltag gehören. Seitdem jagt ein Bericht über die angebliche sexuelle Hemmungslosigkeit von Teenagern den nächsten. Und mancher Experte glaubt in der Pornografie eine neue »Leitkultur der Unterschicht« zu erkennen: »Man kann die Auswirkungen, die permanenter Pornokonsum vor allem in der Unterschicht hat, nicht unterschätzen«, erklärt Jakob Pastötter, Präsident der Deutschen Gesellschaft für sozialwissenschaftliche Sexualforschung. »Die Ästhetik, die Sprache, das Verhalten in Pornofilmen entwickeln sich zu Rollenvorbildern für die, denen die Vorbilder abhanden gekommen sind.«
Inzwischen aber haben zahlreiche Experten Siggelkows These der »sexualisierten Unterschichtsjugend« widersprochen. Wenn überhaupt, dann sei die sexuelle Verwahrlosung von Kindern und Jugendlichen weniger die Folge eines sozialen Milieus als einer generellen emotionalen Verwahrlosung, erklärt die renommierte Sexualforscherin und PsychotherapeutinProfessor Hertha Richter-Appelt vom Institut für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie am UKE Hamburg der Tageszeitung Die Welt: »Ich würde sagen, dass es eine sexuelle Verwahrlosung gibt, allerdings ist diese gekoppelt an eine emotionale Verwahrlosung, und die ist kein Schichtenproblem. Wenn ein Kind mit Pornografie aufwächst, kann dies Folgen für seine eigene Sexualität haben, aber nur dann, wenn es beziehungslos aufwächst, wenn es keine Bestätigung, keine Zuneigung, keine Zärtlichkeit erfährt. In solchen Milieus kann Sex ähnlich wie Alkohol und Drogen als Flucht vor dem Alltag benutzt werden.« (»Die Generation Porno als Resultat einer schamlosen Gesellschaft?«, Die Welt, 12.6.2009) Und tatsächlich zeigen viele aktuelle Studien, dass die Jugendsexualität in Deutschland eigentlich in einem recht guten Zustand ist. Laut »Dr. Sommer«-Studie der Zeitschrift Bravo im Jahr 2009 bleibt das Alter des durchschnittlich ersten Geschlechtsverkehrs (zwischen 16 und 17 Jahren) in Deutschland seit zehn Jahren stabil – trotz Internetpornografie. Auch die Zahl der Jugendschwangerschaften geht seit dem Jahr 2000 kontinuierlich zurück. Und nach wie vor stehen Liebe und Treue bei Teenagern hoch im Kurs. »Die meisten Mädchen und Jungen machen ihre ersten sexuellen Erfahrungen in seriell treuen Partnerschaften, in denen Zärtlichkeit,
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