Schaut nicht weg
Kinderärztin und Dozentin mit Schwerpunkt sexuelle Gewalt an der University of North Carolina. »Kinder wenden sich früher dem Thema Sex zu, obwohl ihre körperliche Entwicklung dies eigentlich noch gar nicht zulässt.« Und obwohl das Alter des ersten Geschlechtsverkehrs bei Jugendlichen seit Jahren konstant ist, haben sich laut »Dr. Sommer«-Studie romantische Gefühle mit Schwärmen und Verliebtsein bis hin zur ersten Partnerschaft in den letzten Jahren altersmäßig stark nach vorne verschoben: Schon ein Drittel der Jungen und die Hälfte der Mädchen waren im Alter von elf Jahren bereits verliebt. Und hatten die meisten Jugendlichen 2006 zum ersten Mal einen festen Freund oder eine feste Freundin zwischen 14 und 16 Jahren, sind es 2009 schon die 13- bis 15-Jährigen.
»Sex geht auch anders«: Warum Pornoverbote nicht helfen – und Reden wirkt
Viele Eltern glauben heute, dass sie ihre Söhne und Töchter kaum mehr erreichen. Gerade Mütter und Väter von Jugendlichen sind oft verzweifelt und fühlen sich aufgerieben von den ewigen Konflikten und Machtkämpfen mit ihren halbwüchsigen Kindern. Und dennoch haben sie eine ganz wichtige Rolle inne. Denn für Teenager sind die Eltern noch immer Ansprechpartner Nummer eins für Informationen zu Liebe und Sex. Laut »Dr. Sommer«-Studie 2009 spielen für 56 Prozent der Mädchen und 52 Prozent der Jungen vor allem die Mütter eine wichtige Rolle bei Fragen zu Aufklärung, Veränderungen des Körpers, geschlechtlicher Reife und Verhütung. Ein gutes und offenes Gesprächsklima zwischen Eltern und Kindern scheint bei Jugendlichen sogar für einen deutlich verantwortungsvolleren Umgang mit Sexualität zu sorgen. Eine Studie der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung von 2006 belegt: »Bei einer schlechten Vertrauensbasis zu den Eltern geben 50 Prozent der Jungen und 62 Prozent der Mädchen an, den ersten Geschlechtsverkehr nicht geplant zu haben. Gerade bei Mädchen besteht ein enger Zusammenhang zwischen Vertrauensbasis zu den Eltern und Planung des ersten Geschlechtsverkehrs. Ist ein offenes Verhältnis zum Thema Sexualität im Elternhaus nicht gegeben, steigt vor allem bei den Mädchen der Anteil derjenigen, die völlig ungeplant ihren ersten Geschlechtsverkehr erleben (40%).«
Es fällt also durchaus in unseren Kompetenzbereich, die Sexualisierung und all ihre Folgen für unsere Söhne und Töchter pädagogisch abzufedern. Wie also gehen wir damit um, dass unsere Kinder heute immer früher mit Sex konfrontiert werden und Sexualität einen immer wichtigerenStellenwert in ihrem Leben einzunehmen scheint? Wir können die Uhren nicht zurückdrehen und müssen vielmehr dafür Sorge tragen, dass unsere Kinder Sexualität möglichst befreit und in ihrem eigenen Tempo auszutesten lernen. Und das geht nur, wenn ihnen der Sex, den sie möglicherweise im Internet oder im Fernsehen sehen, keine Angst macht. Und wenn sie mit den auf sie einprasselnden sexualisierten Bildern aus Werbung, Fernsehen und Internet kompetent umzugehen lernen. Dabei können wir ihnen helfen. Nur: Wie machen wir das? 15- oder 16-Jährige sind erfahrungsgemäß nicht besonders erpicht auf elterliche Ratschläge, vor allem, wenn diese in einer moralinsauren Verpackung daherkommen. Und auch Porno-, Fernseh- oder Musikverbote helfen wenig … der Reiz des Verbotenen führt eher dazu, dass Jungen oder Mädchen weiterhin Pornos schauen oder Bushido hören, nur eben unter größerer Geheimhaltung. Experten raten dazu, den Kindern ein Stück weit zu vertrauen – aber ihnen eben auch deutlich zu machen: »Wenn du Hilfe brauchst, kannst du mich als Mutter oder Vater ansprechen.« Auf einige Punkte jedoch sollten wir gesteigerten Wert legen:
Medienkompetenz stärken
Jugendliche erhalten in der Regel ihren ersten Zugang zu Medien wie Internet und Fernsehen im Elternhaus. Hier gibt es meiner Meinung nach eine dringende Notwendigkeit, sich als Eltern aktiv mit der Mediennutzung der Kinder auseinanderzusetzen und auch in diesem Bereich zum verlässlichen Partner ihrer Kinder werden. Eltern sollten mehr oder weniger darüber informiert sein, was ihre Kinder im Internet oder Fernsehen sehen, und sich mit ihnen über die konsumierten Inhalte auseinandersetzen – gerade in Bezug aufsexuelle Inhalte, die von den Kindern ja eher verschämt angeschaut und dann aber oft als verstörend empfunden werden. Wir sollten also auf jeden Fall mit unseren Kindern über Pornografie sprechen und sie darauf hinweisen, dass
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