Scheherazade macht Geschichten
»VERZEIH MIR. NATÜRLICH, WAS HÄTTE ES AUCH SONST SEIN SOLLEN? DU KANNST FORTFAHREN.«
»Nun gut«, stimmte Scheherazade zu, während sie Marjanah einen kleinen Zettel reichte. Die beiden hatten jetzt schon eine ganze Zeitlang Nachrichten ausgetauscht – sie hatten irgendwann mitten in der Geschichte von den drei Fischen damit begonnen –, und Ozzie schien nichts dagegen zu haben. In der Tat, solange Scheherazade ihre Erzählung nicht unterbrach, schien Ozzie es nicht einmal zu bemerken. »Also zurück zu meiner Geschichte:
SCHEHERAZADE FÄHRT MIT IHRER GESCHICHTE
VOM PALAST DER SCHÖNEN FRAUEN FORT,
EINEM ORT, DER NICHT WEIT VON DEM ENTFERNT
LIEGT, AN DEM SICH AUGENBLICKLICH ALL UNSERE
HELDEN AUFHALTEN
DOCH OZZIE UNTERBRICHT SIE NOCH EINMAL
»WARTE EINEN MOMENT, BEVOR DU BEGINNST«, warf Ozzie erneut ein.
»Gibt es noch etwas, worüber du reden möchtest?« fragte Scheherazade mit bewundernswerter Geduld.
»WEN GENAU MEINST DU IM TITEL DEINER GESCHICHTE MIT ›UNSERE HELDEN‹?«
»Nun«, antwortete die Geschichtenerzählerin freundlich, »es ist einfach eine andere Art, die Hauptpersonen meiner Geschichte zu benennen.«
»HAUPTPERSONEN?« hakte Ozzie nach und schien schon ein wenig zufriedener. »DAS SCHLIESST WOHL AUCH DSCHINNS MIT EIN, ODER?«
»Aber gewiß doch«, stimmte ihm Scheherazade mit einem großmütigen Lächeln zu. »Jeder verdiente Dschinn könnte ein Held sein. Und wenn du, o mächtiger Ozzie, keine Hauptperson bist, wer dann?«
»NUN GUT«, meinte der Dschinn, und hätte er eine solche gehabt, wäre seine Brust bestimmt vor Stolz geschwellt gewesen. »ICH WOLLTE NUR NOCH EINMAL ZEIGEN, WER HIER DAS ZEPTER IN DER HAND HAT.«
»Und das hast du auf äußerst bewundernswerte Art getan«, entgegnete Scheherazade noch freundlicher als zuvor, sofern das überhaupt möglich war. Sie nahm von Marjanah einen Zettel entgegen, warf kurz einen Blick darauf und fügte hinzu: »Darf ich jetzt fortfahren?«
»ABER BITTE.«
»Ich glaube, ich werde ohne Umschweife beginnen.«
DIE GESCHICHTE
WIRD OHNE UMSCHWEIFE
WIEDERAUFGEGRIFFEN
So kam es also, daß Marjanah und Scheherazade die Treppe hinaufstiegen, um besser sehen zu können, was der Tumult bedeutete.
»Verirren sich oft Männer hierher?«
»Es ist das erste Mal, seit ich im Palast angekommen bin«, gestand Marjanah. »Ich glaube nicht, daß man ihnen hier sehr oft Zutritt gewährt.«
Dem gewaltigen Tumult nach zu schließen, der unter ihnen in der großen Halle stattfand, sah es in der Tat so aus, als ob Männer im Palast der Schönen Frauen eine Seltenheit wären.
»Ich nehme an, Mordrag versorgt euch nicht mit allem«, meinte sie.
»Das ist richtig«, bestätigte ihr eine wohlgekleidete Frau, die sich gegen den Strom der anderen die Treppe hinaufkämpfte, »aber es gibt ja noch so etwas wie Anstand.«
»Ah, Scheherazade«, sagte Marjanah, »darf ich dir Prinzessin Badabadur vorstellen. Sie wurde nicht lange vor mir entführt.«
»Nachdem mich ein Lampenhändler hereingelegt hat, der sich für einen großen Zauberer hielt!« meinte Prinzessin Badabadur verächtlich. »Aber das ist eine andere Geschichte.«
»Ich bin sicher, daß es hier viele Frauen gibt, die interessante Geschichten zu erzählen haben«, stimmte Scheherazade ihr zu und dachte bei sich, daß dieser Ort – wenn schon nichts anderes – wenigstens ihre Phantasie wieder beflügeln würde.
»Aber was geht da unten vor sich?« fragte Marjanah lächelnd.
»Einige unserer Schwestern, die wohl verzweifelt nach der Gesellschaft von Männern lechzten, sind von ihren Trieben übermannt worden«, erklärte die Prinzessin. »Mehrere Dutzende von ihnen reißen gerade unseren Besuchern die Kleider vom Leibe.«
»Das ist in der Tat äußerst schamlos«, stimmte Marjanah ihr zu. »Ist jemand dabei, den wir kennen?«
»Nun«, erwiderte die Prinzessin, »ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, ich habe Fatima unter ihnen gesehen.«
DIESMAL WIRD DIE GESCHICHTE
NICHT VON OZZIE, SONDERN VON
JEMAND ANDEREM UNTERBROCHEN
»Fatima?« rief Sindbad aus dem Publikum heraus. »Dann ist sie also doch hier?«
»Oh, sicher«; meinte Scheherazade. »Ich weiß allerdings nicht genau, wo sie ist. Vielleicht hält sie sich unter den Tausenden von Zuhörerinnen hier auf, vielleicht ist sie aber auch noch im Palast.«
»Ich muß sie sofort suchen!« Sindbad stand auf und sah sich hektisch um. »Ich habe es mir zu meiner Lebensaufgabe gemacht, sie zu finden.
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