Scheherazade macht Geschichten
zögernd, denn ich fürchtete, daß er keine Geduld haben würde mit Tieren, die auf der Suche nach einem Gnadenbrot waren. Doch sobald er mich sah, wandte er sich zu meiner Überraschung mit freundlichen Worten an mich und sagte: ›Da ist ja ein neuer Hund in der Nachbarschaft! Und was für ein hageres Exemplar er ist! Mal sehen, ob wir nicht ein paar Häppchen für dich finden!‹
Er suchte einige Reste von seiner Fleischertheke zusammen und warf sie mir mit den Worten zu: ›Niemand, der meinen Laden betritt, sei es Mensch oder Tier, soll ihn hungrig wieder verlassen.‹
Ich starrte auf die Fett- und Knorpelstückchen, die er vor mich hingeworfen hatte. Nun, das war es also, was mir mein Leben als Hund zu bieten haben würde: Fett und Knorpel! Aber, was hätte ich auch mehr erwarten können?
›Was ist los?‹ fragte der Fleischer. ›Ist mein Fleisch etwa nicht in Ordnung?‹
Ich entschied, daß es wohl besser war, zu essen, was mir angeboten worden war, bevor es mir wieder weggenommen wurde. Also versuchte ich das Fleisch zu kauen, doch die Brocken fielen mir wieder aus dem Mund, und ich begann höchst mitleiderregend zu sabbern. Da ich erst kürzlich in einen Hund verwandelt worden war, wußte ich noch nicht, wie ich meine Kiefer zu bewegen hatte.
›Wahrlich, dies ist gewiß der traurigste Anblick, der sich mir jemals geboten hat‹, meinte der Fleischer, als er meine unnützen Kaubewegungen sah. ›Kein Wunder, daß du so mager bist, wenn du noch nicht einmal weißt, wie man ißt. Ich kann mir nicht helfen, aber ein so bedauernswertes Tier wie du erregt mein tiefstes Mitleid. Ich werde dich mit nach Hause nehmen und meiner Tochter gestatten, für dich zu sorgen.«
Und der Fleischer stand zu seinem Wort, denn als sein Arbeitstag sich dem Ende neigte, schloß er seinen Laden ab und führte mich in sein Haus, das am Ende derselben Straße stand, und dort zu seiner Tochter, die er mit den Worten begrüßte: ›Sieh, ich habe dir einen kleinen Spielkameraden mitgebracht!‹
Doch statt sich über ein solches Geschenk zu freuen, hüllte sich seine Tochter so schnell sie konnte in ihre Schleier und antwortete: ›Wie kannst du es wagen, einen Mann in meine Gemächer zu führen?‹
Als er das hörte, runzelte der Fleischer die Stirn. ›Was meinst du damit, o Tochter?‹
›Genau das, was ich gesagt habe‹, entgegnete seine Tochter höchst unwirsch. ›Vater, kannst du denn nicht einmal mehr richtig zuhören? Früher war dies hier ein Mann, jetzt ist er ein Hund. Was könnte einfacher zu verstehen sein?‹
Ihr Vater murmelte daraufhin bloß etwas davon, daß er die Jugend von heute einfach nicht mehr verstehen könne, aber seine Tochter ließ sich nicht beirren. Sie tauchte ihre Hand in ein Gefäß mit Wasser, das auf dem Tisch neben ihr stand, zog die Hand wieder heraus und fing an, meine Stirn mit drei Tropfen Wasser zu besprengen.
›Und nun sprich wieder mit deiner eigenen Zunge!‹ verkündete sie.
In diesem Augenblick spürte ich, wie sich die Muskeln in meiner Kehle dehnten und bogen, und stellte fest, daß ich statt Wau, Wau und Wuff, Wuff wieder richtige Wörter und vollständige Sätze zu bilden in der Lage war.
›Holdes Mädchen‹, flehte ich, sobald ich meine Stimme zurückhatte, ›kannst du mir nicht auch meine wahre Gestalt wiedergeben?‹
›Ich beherrsche diese Kunst‹, erklärte das Mädchen bereitwillig, ›und außerdem könnte ich dich lehren, wie du deine Frau in ein Tier verwandeln kannst, falls dir der Sinn nach Rache steht. Doch verlange ich zuerst eine Gunst von dir.‹
›Alles, was du willst‹, erwiderte ich ohne zu zögern, da ich es nicht erwarten konnte, endlich wieder menschliche Gestalt anzunehmen.
›Mit der Zeit wird es sehr langweilig, den ganzen Tag in diesem Haus zu sitzen. Was nicht heißen soll, daß mein lieber Vater nicht gut für mich sorgt. Es ist nur so, daß ich ein Einzelkind bin, dessen Mutter diese Welt sehr früh verlassen mußte und das aus diesen Gründen recht selten gesellschaftlichen Umgang pflegen konnte. Daher solltest du mir, bevor ich dich zurückverwandle, damit du deine Rache ausüben kannst, vielleicht eine Geschichte von der Welt da draußen erzählen.‹
Was blieb mir anderes übrig, als zu gehorchen?
›Oh‹, fügte sie schnell noch hinzu, ›und es sollte eine aufregende Geschichte voller wunderbarer Abenteuer sein!‹
Und dies hier also ist die Geschichte, die ich ihr erzählte:
DIE GESCHICHTE
VOM FISCHER UND VON
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