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Scheherazade macht Geschichten

Titel: Scheherazade macht Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Shaw Gardner
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habe ganz vergessen zu schlafen«, meinte der König mit einem ausgedehnten Gähnen. »Vielleicht gelingt es mir, während einer der längeren Streitfälle, die ich heute schlichten muß, ein wenig die Augen zu schließen. Außerdem würde ich gerne mit diesen Schwertern üben. Es ist eine Schande, daß sie hier so unnütz herumliegen müssen.«
    Und damit, dachte die Geschichtenerzählerin, endete der lange Abend, wie er begonnen hatte: mit Schwertern. Wieder war es Scheherazade gelungen, eine Nacht unbeschadet zu überstehen. Doch der nächste Abend würde mit Sicherheit kommen. Und dazwischen lag noch ein ganzer, langer Tag.
    Scheherazade war gespannt, welche Überraschungen die Mutter des Königs wohl noch für sie bereithielt.

Das 9. der 35 Kapitel,
    in dem wir erfahren,
    daß ein Harem kein Heim ist.
     
    Scheherazade war so sehr erschöpft, daß sie keinerlei Zweifel daran hegte, sofort einschlafen zu können, egal, was sie diesmal in ihren Gemächern erwarten würde. Doch wie sagte einmal eine weise Frau: Es gibt nur zwei Dinge, die vollkommen sicher sind: der Tod und die Steuer. Und zumindest eines davon erwartete Scheherazade im Harem.
    Omar begrüßte die beiden Schwestern mit einem silbernen Tablett in der Hand. »Seht, was ich hier habe«, meinte er gutgelaunt. Seine Stimme klang wie die eines zwitschernden Vogels. »Es ist ein Geschenk von einem Freund, der nicht genannt werden möchte.«
    Ein Freund? Scheherazade war augenblicklich mißtrauisch. Innerhalb der Mauern dieses Palastes hatte sie einen Vater, eine Schwester und einen Ehemann, aber so etwas wie einen Freund hatte sie noch nicht gefunden.
    »Was ist das für ein Geschenk?« fragte sie daher den Mann, der nur danach streben konnte, oberster Eunuche zu werden.
    »Da steht es, auf einem silbernen Tablett«, erklärte Omar. »Es ist ein silberner Kelch, und in diesem Kelch ist ein ganz besonderer Wein.« Als er allerdings auf diesen Wein hinabblickte, schien der Diener, wenn auch nur ganz leicht und kaum merklich, die Stirn in Falten zu legen. »Vielleicht«, fügte er hinzu, »ist es Zeit für ein Gedicht.«
    »Vielleicht ist es aber auch nicht Zeit für ein Gedicht«, beharrte Scheherazade und strengte all ihre verbliebenen Kräfte an, um sich ganz wie eine Königin zu geben. Unglücklicherweise half ihr das auch nicht, zu verstehen, was hier vor sich ging. Sie spürte nur, daß Omar ihnen wieder einmal etwas auf äußerst umständliche Art mitzuteilen versuchte. Doch mußte eine wahre Königin nicht auch in der Lage sein, eine Situation wie diese zu klären?
    »Wieso ist der Wein etwas ganz Besonderes?« fragte sie daher.
    »Nun, er hat ein außerordentlich strenges Bouqet«, antwortete Omar, »eines, in dessen Genuß man zu seinen Lebzeiten lieber nicht kommen sollte.«
    »Zu seinen Lebzeiten«, wiederholte Scheherazade. Welch ausgesprochen merkwürdige Art, diesen Jahrgang zu beschreiben! Vielleicht war Omar bereit, noch mehr preiszugeben, wenn sie ein wenig nachhakte. »Hat dieser Wein noch andere Eigenschaften?«
    Omar deutete mit einem seiner fleischigen Finger auf den Rand des Kelches. »Nun, da gibt es noch diesen Streifen hier, der sich ganz um den Kelch herumzieht und an dem die Flüssigkeit das Metall zu zersetzen beginnt.« Er warf hastig einen Blick nach links und rechts, als hätte er ein großes Geheimnis verraten. »Doch ich bin sicher, daß dies ein sehr, sehr alter und brüchiger Kelch ist! Es ist eine Schande, daß ein solcher Wein in einem solch unwürdigen Gefäß serviert wird!«
    »Und dieser Wein, sagst du, ist das Geschenk eines Freundes, der nicht genannt werden will?« fragte Scheherazade. »Du kannst keine näheren Auskünfte geben, selbst deiner Königin nicht?«
    »Meiner Königin?« Omar ließ erneut seinen Blick durch den Raum schweifen, bevor er mit gedämpfter Stimme hinzufügte: »Dieser Freund nimmt eine sehr hohe Stellung im Palast ein. Genauer gesagt, ist es eine Freundin, und sie ist möglicherweise eng mit Euch verwandt, wenn auch bloß durch Heirat. Aber mehr kann ich nicht sagen!«
    Wollte dieser Diener damit andeuten, daß das Geschenk von der Sultana stammte? Eben jener Sultana, die Scheherazades Ehemann mit den drei außerordentlich scharfen Schwertern beglückt hatte?
    Scheherazade mußte auf all ihre Tugenden als mutige Geschichtenerzählerin zurückgreifen, um nicht zurückzuweichen, als Omar sich ihr mit dem Kelch näherte, vor allem, da sie diesen Kelch, oder genauer, die Flüssigkeit darin nun

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