Scheherazade macht Geschichten
manch anschauliche Geschichte zu erzählen, um mir klar vor Augen zu führen, welche Schwierigkeiten mich erwarten würden. Das war durchaus nichts Ungewöhnliches, denn schon immer war es in meiner Familie Tradition gewesen, die alltäglich anfallenden Probleme durch das Erzählen von solchen Geschichten zu verdeutlichen. Doch auch ich ließ mich nicht so schnell von meinem Vorhaben abbringen. Denn meiner Meinung nach war es an der Zeit, unseren guten König auf die kleinen Fehler aufmerksam zu machen, die sich in letzter Zeit in sein Benehmen eingeschlichen hatten. Zweifellos würde er viel glücklicher sein, wenn er diese Fehler wieder aufgab. Kurz, es ging mir ganz so wie all den Frauen, die jahraus, jahrein mit den kleinen Schwächen ihrer fast perfekten Ehemänner zurechtkommen müssen. Und sollte ich Erfolg haben, würde ich damit all die anderen heiratsfähigen Frauen, die aus der Stadt geflohen waren oder sich irgendwo darin versteckten, vor einem schrecklichen Los bewahren.
Also blieb ich meinem Vater gegenüber standhaft, bis er schließlich sagte: »Ich bin machtlos! Wenn du auf deinem Vorhaben bestehst, dann sei Allah mit dir!« Doch wenn ich schon eine Verbindung mit dem König eingehen wollte, so fügte er hinzu, dann sollte dies zumindest eine gesetzlich anerkannte sein, die sich mit der Würde seines Amtes als Großwesir vertrug. Und daher sollte zum erstenmal seit zweihundertachtundneunzig Tagen wieder eine königliche Hochzeit stattfinden.
Nachdem er diese Entscheidung getroffen hatte, verließ mich mein Vater, um all die nötigen Vorbereitungen für die Vermählung an diesem Abend zu treffen. Und auch ich mußte mich vorbereiten, falls ich die Hochzeitsnacht überleben wollte. Und so kam es, daß ich mit meiner Schwester Dunyazad redete und ihr einschärfte, zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt an einem ganz bestimmten Ort zu sein. Außerdem teilte ich ihr mit, was sie bei dem kleinsten Anzeichen von Schwierigkeiten zu tun und zu sagen hatte, vor allem, daß sie laut und deutlich und, falls nötig, immer wieder erwähnen solle, daß Scheherazade besonders berühmt für ihre phantastischen Erzählungen sei.
Bald darauf kehrte mein Vater mit meinen Brautkleidern zurück, und es waren in der Tat ganz edle Gewänder, wie sie sich für die Tochter eines Großwesirs, die im Begriff war, den König zu heiraten, geziemten. Damit war alles für meine Hochzeit vorbereitet, und schließlich kam die Stunde, in der die Sklaven mit den Sänften eintrafen, die mich und meine Familie zum Palast bringen sollten.
Und so machte ich mich also auf den Weg zu den Gemächern des Königs, und alles sprach dafür, daß dies die letzte Nacht meines Lebens sein würde.
Das 3. der 35 Kapitel,
in dem unsere Heldin handelt,
bevor sie redet.
Und damit beginnt die eigentliche Geschichte von Scheherazade.
Die Hochzeit verlief wie jede andere Hochzeit auch, mit vielleicht einem Unterschied: Das Klagen der Frauen war noch herzzerreißender als gewöhnlich, was natürlich darauf zurückzuführen war, daß man der Braut keine allzu hohe Lebenserwartung zusprach. Sobald die Festlichkeiten ein Ende gefunden hatten, zogen sich Scheherazade und Shahryar, nun Frau und Mann, Königin und König, mit einigen Dienern, die für ihr Wohlergehen sorgen sollten, in ihre Gemächer zurück.
Und so kam es, daß der König Scheherazade in seine starken Arme nahm und sagte: »Komm, meine Königin, und bereite mir Vergnügen, wie es die Pflicht einer jeden Ehefrau ist, aber sprich nicht von Kissen oder Lanzen oder vom Reiten oder von Siegelringen, noch sollst du zuviel lachen oder Demut heucheln, wenn du in Wahrheit verhext bist, und vor allem solltest du keine wie auch immer gearteten Anspielungen auf Dschinns oder Magie in irgendeiner Form machen!« Und mit jedem Wort, das der König sprach, wurde er nervöser. Zitternd und mit einem gequälten Stöhnen ließ er seine junge Braut los und ertappte sich dabei, wie sein Blick immer öfter in Richtung seines Schwertes wanderte, das in seiner Schärpe steckte.
Doch Scheherazade, die sehr schlau war und zu Füßen ihres weisen Vaters vielen seiner Geschichten gelauscht hatte, argwöhnte, was als nächstes geschehen würde. Daher sagte sie rasch und in aller Deutlichkeit: »Nein, mein König, nie würde ich es wagen, etwas zu erwähnen, was Ihr nicht wünscht. Doch bevor Ihr Euch zu sehr der Bewunderung Eures Schwertes hingebt, dürfte ich Euch vielleicht darauf hinweisen, daß ich es kaum
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