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Scheherazade macht Geschichten

Titel: Scheherazade macht Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Shaw Gardner
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einzigen Dinar mehr wert.
    Shahzaman und die Sultana marschierten eiligen Schrittes aus den Gemächern des Königs, dicht gefolgt von Shahzamans Gefolge. Scheherazade wartete, bis der tapfere, stattliche, sympathische und wie durch ein Wunder immer noch lebende Wachposten die Türen hinter sich geschlossen hatte, bevor sie das Wort ergriff.
    »Was soll ich nur tun?« fragte sie, und ihre Stimme war kaum ein Flüstern.
    »Vielleicht ist es an der Zeit für ein stilles Gedicht«, erwiderte Omar mitfühlend und begann rasch mit folgendem Reim:
     
    Ach, wie hart ist doch die Welt,
    Zu dieser zarten Blume hier.
    Doch wenn Omar sie im Arme hält,
    Dann spendet Trost er gerne ihr.
     
    Scheherazade verspürte einen neuerlichen Anflug von Zorn, als sie dieses zweideutige Angebot vernahm, doch als sie den Eunuchen im schummrigen Licht des Geheimganges vor sich stehen sah, seinen sehnsüchtigen Blick, seine zitternden Lippen und die verstohlene Träne bemerkte, die seine Wange hinunterlief, da kam es ihr so vor, als hätte sie noch nie zuvor bemitleidenswertere vierhundert Pfund Fleisch und Fett gesehen. Omar fuhr unterdessen fort:
     
    Verzeih, wenn ich so schüchtern bin
    Und um Verständnis Dich ersuch',
    Denn eins nur hob' ich stets im Sinn,
    Ich wär' so gern nur Dein Eunuch!
     
    Noch immer gelang es Scheherazade nicht, wütend auf Omar zu werden. Sie kannte diesen dicken Mann kaum, und er wußte ebensowenig über ihr Leben, und dennoch offenbarte Omar ihr Gefühle, die er vor dem Rest der Welt sorgsam verborgen hielt. Wer so offen und ehrlich war, dem konnte sie nicht böse sein. Außerdem war sie auf die Hilfe Omars angewiesen, wenn sie aus diesem Palast entkommen wollte.
    »Danke, aber das muß nicht sein«, lautete ihre Antwort. »Vergiß nicht, daß ich eine verheiratete Frau bin. Oh, sicher, mein Gatte ist zur Zeit vielleicht nicht ganz bei klarem Verstand, aber das wird bestimmt vorübergehen. Nein, Omar, ich glaube, es wäre besser, wenn wir nur Freunde blieben.«
    »Freunde, Freunde, immer nur Freunde!« sagte Omar mit einer Stimme, die deutlich von seiner Verzweiflung zeugte. »Was sonst wollen Frauen schon von einem Eunuchen?«
    »Diese Frau hier sucht einen Weg nach draußen«, antwortete Scheherazade ihm ohne Umschweife, »bevor ihr jemand den Kopf abschlägt.«
    »Oh, aber gewiß doch«, stimmte Omar schnell zu. »Wo waren bloß meine Gedanken?« Er hielt inne, um nach rechts und links zu spähen. »Wir werden die Treppen nehmen«, verkündete er.
    »Die Treppen?« entgegnete Scheherazade. »Riskieren wir da nicht entdeckt zu werden?«
    »Nicht die Treppen da draußen«, verbesserte Omar sie freundlich. »Es gibt Geheimtreppen innerhalb dieser Geheimgänge, ganz zu schweigen von Geheimfenstern, Geheimtüren, Geheimfalltüren, Geheimluftabzugsschächten, Geheimschaltern, Geheimflaschenzügen und anderen Geheimvorrichtungen. Und dahinter verbergen sich ganze Geheimräume, Geheimschlafgemächer, Geheimkammern für Geheimschätze und Geheimvorräte, Geheimsäle für große Geheimzusammenkünfte sowie Geheimgärten, in die die Sonne scheint.«
    »Das klingt alles sehr geheimnisvoll«, erwiderte Scheherazade, »aber wäre es nicht ratsam, wenn wir uns in einem dieser Geheimräume verstecken würden, anstatt hier herumzustehen?«
    »Oh«, meinte Omar. »Das wäre es in der Tat. Vergebt mir, o Königin. Ich höre und gehorche!«
    Er bewegte sich so schnell den Gang hinunter, daß Scheherazade Mühe hatte, ihm zu folgen. Obwohl düsteres Halbdunkel herrschte, schien Omar nicht einmal einen falschen Schritt zu tun. Immer wieder rief er über die Schulter: »Hier jetzt abbiegen!« und: »Vorsicht, da kommt eine Stufe!« oder: »Gebt auf das lose Brett acht!« Scheherazade nahm an, daß der Eunuch wohl sehr viel Zeit in diesen geheimen Gängen verbracht haben mußte, wenn er sich so gut darin auskannte. Wieviel hatte er dabei wohl beobachtet? Vielleicht wußte er doch mehr über Scheherazade, als sie eben noch angenommen hatte.
    Omar hielt plötzlich seine Hand hoch. »Verhaltet Euch ruhig, o Königin. Ich muß den Zugang zu den Treppen öffnen.« Er machte einen Schritt nach vorne und zwei zurück, und dann hüpfte er einmal auf der Stelle.
    Ein Stück des Fußbodens schob sich lautlos zur Seite und gab den Weg zu einer Treppe frei, die nach unten führte.
    »Auf diese Weise öffnet man solche Geheimzugänge«, beantwortete Omar die unausgesprochene Frage Scheherazades. »Warum, das ist im Dunkel der Zeit

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