Scheherazade macht Geschichten
Hindernisse auf dem Weg zu ihrem Glück beiseite zu räumen. Ja, vielleicht ging am Ende doch noch alles gut aus.
Shahzaman betrat inzwischen die Gemächer Shahryars, gefolgt von Hassan und dem königlichen Gefolge. Omar schnippte mit den Fingern und deutete Scheherazade, ihm zu folgen.
»Von hier aus habt Ihr eine bessere Sicht«, flüsterte er. Und tatsächlich, Scheherazade könnte nun in das größte der königlichen Gemächer blicken, jenen Raum, in dem Shahryar und sie sich oft geliebt und in dem Sulima und die Sultana miteinander gekämpft hatten.
»Aha!« rief Shahzaman, als er die Frau in Schwarz entdeckte. »Du bist mit Sicherheit keine Verwandte! Bereite dich auf deinen Tod vor!«
»Narr von einem König«, erwiderte Sulima. »So schnell vergißt du also jemanden, mit dem du schon einmal ausgeritten bist?« Woraufhin sie einen ihrer angedeuteten Tanzschritte vollführte.
»Sulima!« rief Shahzaman entsetzt. »Kissen! Lanzen! Reiten! Siegelringe!« Und diese letzten Ausrufe wurden von demselben Zucken begleitet, das Scheherazade schon so oft an seinem Bruder beobachtet hatte.
Die Geschichtenerzählerin seufzte. Soviel also zu der Hoffnung, daß doch noch alles ein gutes Ende finden würde.
Sulima schenkte dem zitternden König ein hämisches Grinsen. »Ich vergnüge mich nicht gerne auf dem Diwan, solange alte Vetteln anwesend sind. Ich werde später auf euch zurückkommen!« Und daraufhin löste sie sich in einer Wolke Rauch auf, die so schwarz wie ihre Gewänder war.
»Töten! Töten! Töten!« rief Shahryar, der zusammengekrümmt auf dem Boden lag.
»Ja, Shahryar«, stimmte Shahzaman ihm zu, »hier werden heute noch ein paar Köpfe rollen.« Dann wandte er sich an die Sultana. »Was hat sich in diesem Palast zugetragen, Mutter?«
»Es ist alles noch gar nicht so lange her«, antwortete die Sultana. »Als dein Bruder nach eurer Reise zurückkehrte, hatte er einen Weg gefunden, sich jede Nacht Entspannung zu verschaffen – nämlich indem er allabendlich ganz einfach eine Jungfrau tötete.«
»Sehr vernünftig«» stimmte Shahzaman zu.
»Und das funktionierte auch gut dreihundert Nächte lang«, erklärte die Sultana weiter. »Doch dann wurden Jungfrauen plötzlich rar.«
»Aha«, meinte Shahzaman verständnisvoll. »Nachschubmangel? Ist mir nicht unbekannt. Ich erinnere mich an eine Zeit, in der ich besonders gereizt war und jeden Tag drei Köpfe rollen ließ – ihr wißt schon, einen vor jeder Mahlzeit. Tut übrigens Wunder, was den Appetit angeht, kann ich euch sagen. Wie dem auch sei...«
»Nicht jetzt, mein Junge«, unterbrach ihn die Sultana. »Lausche lieber den Worten deiner Mutter.« Und dann fuhr sie mit ihrer Erklärung fort! »So kam es also, daß der Wesir, der den König mit Jungfrauen versorgte, auf seine eigene Familie zurückgreifen mußte und seine Tochter Scheherazade mit meinem Shahryar verheiratete.«
»Ein sehr pragmatischer Mann«, meinte Shahzaman.
»Ja, aber die Tochter des Wesirs«, drängte die Sultana, »sie ist...« und das letzte Wort kam ihr nur sehr schwer über die Lippen, »... eine Geschichtenerzählerin!«
Shahzaman verschlug es fast die Sprache vor Schreck. »Willst du damit sagen, daß mein Bruder in ihrem Bann steht? Shahryar war schon immer ein sehr aufmerksames Publikum. Er konnte stundenlang zusehen, wie ich Fröschen die Beine ausriß.«
»Ach, das waren noch einfache, glückliche Zeiten«, seufzte die Sultana wehmütig. »Doch was, wenn die Hexe auch dich bezirzt?«
»Keine Angst, Mutter«, versicherte ihr Shahzaman. »Ich höre niemals auf jemanden.«
»Nun«, meinte seine Mutter mit einem zufriedenen Lächeln, »ich bin froh, daß ich wenigstens einen Sohn großgezogen habe, der das Zeug zu einem König hat. Was wirst du also tun?«
»Es gibt nur eine Lösung«, behauptete Shahzaman. Er schien sich seiner Sache ausgesprochen sicher zu sein. »Scheherazade muß sterben!«
Das 24. der 35 Kapitel,
in dem Scheherazade die Geheimnisse eines sehr großen Palastes und eines sehr großen Herzens kennenlernt.
Wieder einmal wurde Scheherazade also mit dem Tode gedroht. Die Geschichtenerzählerin hätte inzwischen eigentlich daran gewöhnt sein müssen. Doch Shahzaman schien anders als sein Bruder Shahryar, der meistens recht verwirrt, zumindest aber stets beeinflußbar war, genau zu wissen, was er wollte, und sich auch von seinen Plänen nicht abbringen zu lassen. Im Augenblick jedenfalls sah es so aus, als wäre Scheherazades Leben keinen
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