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Scheintot

Scheintot

Titel: Scheintot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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diesen Stufen. Die Frau mit den braunen Haaren. Jane ergriff das Geländer, ihre Finger schlossen sich um geschnitztes Eichenholz, und sie spürte das Pochen ihres eigenen Pulsschlags in den Fingerspitzen. Sie wollte nicht nach oben gehen. Aber da war wieder diese Stimme, die ihr zuflüsterte:
Mila
weiß Bescheid.
    Da oben ist irgendetwas, das ich sehen soll, dachte sie. Etwas, zu dem die Stimme mich führt.
    Gabriel stieg vor ihr die Treppe hinauf. Jane folgte mit zögerndem Schritt, den Blick nach unten auf die Stufen gerichtet, ihre Handfläche kalt und feucht auf dem Geländer. Sie blieb stehen und starrte auf eine Stelle, wo das Holz heller war als anderswo. Als sie in die Hocke ging, um die erst vor kurzem abgeschmirgelte Oberfläche zu befühlen, spürte sie, wie sich die Härchen in ihrem Nacken aufstellten. Würde man das Treppenhaus abdunkeln und diese Stufen mit Luminol besprühen, dann würde die Maserung des Holzes gewiss in gespenstischem Grün aufleuchten. Der Reinigungstrupp hatte sich bemüht, die Flecken zu entfernen, so gut es eben ging, aber die Spuren waren immer noch vorhanden, hier, wo das Blut des Opfers vergossen worden war. Hier war sie gestorben, ausgestreckt auf diesen Stufen, genau an der Stelle, die Jane jetzt berührte.
    Gabriel war schon oben und machte einen Rundgang durch die Zimmer im ersten Stock.
    Sie folgte ihm und hielt am oberen Treppenabsatz inne.
    Hier war der Rauchgeruch stärker. Jane erblickte einen Flur mit olivgrüner Tapete und dunklem Eichenparkett, auf das durch halb offene Zimmertüren Rechtecke aus Licht fielen. Sie trat durch die erste Tür zur Rechten und sah ein leeres Zimmer mit geisterhaften Umrissen an den Wänden, wo einst Bilder gehangen hatten. Es hätte ein beliebiges leeres Zimmer in irgendeinem leer stehenden Haus sein können, so gründlich waren alle Spuren der einstigen Bewohnerinnen verwischt worden. Sie ging zum Fenster und schob es hoch. Die Eisenstäbe waren fest verschweißt. Kein Entkommen, wenn es brennt, dachte sie. Selbst wenn es möglich gewesen wäre hinauszuklettern, ging es hier vier oder fünf Meter steil in die Tiefe, und keine Büsche hätten den Sturz auf den harten Kiesboden abgebremst.
    »Jane«, hörte sie Gabriel rufen.
    Sie folgte seiner Stimme und ging durch den Flur in ein anderes Schlafzimmer.
    Gabriel stand vor einem offenen Wandschrank. »Hier«, sagte er leise.
    Sie trat neben ihn und ging in die Hocke, um das Parkett zu befühlen, das auch hier abgeschmirgelt worden war. Wieder drängte sich ihr unwillkürlich ein anderes Bild aus dem Video auf. Die beiden Frauen, ihre schlanken Arme umeinander geschlungen wie zwei Liebende. Wie lange hatten sie hier gekauert? Der Wandschrank war nicht groß, und der Geruch der Angst musste die dunkle Kammer erfüllt haben.
    Unvermittelt stand sie auf. Das Zimmer kam ihr plötzlich zu warm, zu stickig vor; sie ging hinaus auf den Flur, ihre Beine taub vom langen Verharren in der Hocke. Dies ist ein Haus des Schreckens, dachte sie. Wenn ich aufmerksam genug lausche, werde ich das Echo der Schreie hören.
    Am Ende des Flurs war noch ein letztes Zimmer – dort hatten die Bauarbeiter das Feuer ausgelöst. Sie blieb zögernd auf der Schwelle stehen, abgestoßen von dem Brandgeruch, der hier noch viel stärker war. Beide Fenster waren zu Bruch gegangen und mit Sperrholz vernagelt worden, das kein Tageslicht durchließ. Jane zog ihre Stablampe aus der Tasche und ließ den Strahl durch das düstere Zimmer wandern. Die Flammen hatten Wände und Decke geschwärzt und an manchen Stellen alles bis auf die verkohlten Balken verzehrt. Sie leuchtete in alle Ecken, und der Lichtkegel strich an einem Wandschrank ohne Türen vorbei. In diesem Moment blitzte etwa Ellipsenförmiges an der Rückwand des Schranks auf und war gleich darauf wieder verschwunden. Jane runzelte die Stirn und leuchtete die Stelle erneut an.
    Da war sie wieder, diese helle Ellipse, die kurz an der Rückwand aufflackerte.
    Sie ging hin, um sich den Wandschrank genauer anzusehen, und entdeckte eine Öffnung, groß genug, um einen Finger hindurchstecken zu können. Vollkommen rund und glatt. Irgendjemand hatte ein Loch in die Schrankrückwand gebohrt.
    Über ihr ächzten die Balken. Erschrocken blickte sie nach oben, als plötzlich knarrende Schritte über der Zimmerdecke zu hören waren. Gabriel war auf dem Dachboden.
    Sie ging wieder auf den Flur hinaus. Das Tageslicht schwand jetzt rapide, und das Haus füllte sich mit grauen

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